Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Schwarze Phoenix

Titel: Der Schwarze Phoenix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Becker
Vom Netzwerk:
wenigen Sekunden entschieden sein sollen.
    Aber in Wahrheit hatte der Feuerschlucker keine Chance. Das jahrelange Flüchten vor Polizisten und den Männern vom Jugendamt hatte aus Jonathan einen wendigen und schnellen Läufer gemacht. Verfolgt zu werden, war ein vertrautes, ja sogar beruhigendes Gefühl. Jonathan konzentrierte sich, rannte geschmeidig, schlüpfte zwischen den Menschen hindurch, anstatt sie anzurempeln, und versuchte dabei, eher wie jemand zu wirken, der einem Bus hinterherrannte, denn wie ein Ladendieb. Instinktiv hielt er sich an all die Regeln, die er im Laufe der Jahre aufgestellt hatte. So sprintete er nach Osten in Richtung des Oxford-Circus, in der Hoffnung, Correlli dort in der Menschenmenge abzuhängen. Er rannte im Zick-Zack-Kurs anstatt geradeaus und hielt sich von den Geschäften fern, um nicht die Aufmerksamkeit der Sicherheitsleute zu erregen.
    Am Oxford-Circus pflügte er durch die Scharen ausländischer Touristen und wandte sich nach Norden in Richtung des Portland-Platzes. Nach einem Blick über die Schulter war ihm klar, dass er Correlli abgehängt hatte, aber er blieb dennoch nicht stehen, bis er die Tore des Regent’s-Park durchquert hatte. Neben einer Bank kam er wieder zu Atem. Ein Gefühl der Freude durchströmte seinen Körper. Es war eine Weile her, seit er das letzte Mal durch London gejagt wurde, aber auf eine seltsame Art und Weise hatte er es genossen. Correlli mochte ihm zwar in der Dunkelheit des »Mitternacht«ein Messer an die Kehle halten, aber dies war seine Ecke der Stadt.
    Als er seine Arme und Beine ausschüttelte, um seine Muskeln zu lockern, hätte man ihn auch für einen der zahlreichen Jogger halten können, die im Licht des Sonnenuntergangs an ihm vorbeirannten. Jonathan wusste, dass er nach Hause laufen musste. Er hatte weder Münzen in der Tasche noch eine Ahnung, wo seine Monatskarte war. Das war kein Problem. Er genoss es, sich wieder mit der Stadt vertraut zu machen, in der er aufgewachsen war: das London der Straßencafés, der Mobiltelefone und der Skateboardfahrer.
    Die Nacht war hereingebrochen, als Jonathan in seine alte Straße einbog. Als er sich seinem Haus näherte, kamen ihm Zweifel. Würde sein Vater sich freuen, ihn zu sehen? Seit Alain seine letzte Finsternis durchlitten hatte, gab es einen Hoffnungsschimmer, dass er endlich in der Lage wäre, sich ein wenig zu öffnen und sich mehr wie ein normaler Vater zu verhalten. Jonathan ertrug den Gedanken nicht, dass sein Vater sich wieder in die stille, grüblerische Gestalt verwandelt haben könnte, die jahrelang durch das Haus geschlichen war.
    Hinter den zugezogenen Vorhängen schimmerte Licht aus dem Starling-Haus. Mit zitternder Hand drückte Jonathan die Türklingel. Er hörte Schritte im Flur, dann öffnete sich die Tür. Für einen kurzen Augenblick dachte Jonathan, dass niemand vor ihm stand, aber dann blickte er nach unten und sah eine sehr kleine Frau mit blondem Haar, die ihn anstarrte.
    Miss Elwood schrie auf.
    »Schon gut!«, sagte Jonathan eilig. »Ich bin’s!«
    Sie hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund, bevor sie freudig »Jonathan!« rief, ihn umarmte und fest an sich drückte.
    »Es ist so schön, dich zu sehen! Was für eine Überraschung!«, rief sie. »Wir waren uns nicht sicher, ob du zurückkommen würdest!
ALAIN! JONATHAN IST WIEDER DA

    Miss Elwood nahm Jonathan an der Hand und führte ihn in die Küche. Obwohl das Haus sich in seiner Abwesenheit nicht verändert hatte – die Holzdielen knarzten noch an denselben Stellen, und es hing derselbe staubige Geruch von Hunderten alter Bücher in der Luft – fühlte sich Jonathan seltsam fehl am Platze. Es war, als wäre er zu Gast in einem fremden Haus. Das Neonlicht in der Küche war viel zu hell und das surrende Geräusch des Geschirrspülers klang ungewohnt. Als Jonathan sich im Raum umsah, stellte er fest, dass Miss Elwood mit ihm sprach.
    »… und ich wette, dass du halb verhungert bist. Ich mach dir schnell was zu Essen.
ALAIN
! Wo bleibt der Mann bloß? Vermutlich steckt er mit seinem Kopf wieder in einem Buch.« Sie hielt inne. »Ist alles in Ordnung? Du wirkst ein wenig geistesabwesend.«
    »Oh, mir geht es gut. Es ist nur ein komisches Gefühl, wieder zu Hause zu sein.«
    Miss Elwood nickte verständnisvoll.
    »Natürlich. Du warst ja auch sehr weit weg und … Da bist du ja!«
    Jonathan drehte sich herum und sah seinen Vater in der Tür stehen. Alain Starling trug ein Buch in einer Hand, seine Brille in

Weitere Kostenlose Bücher