Der Schwarze Phoenix
lesen«, murmelte der Verleger steif. »Niveauloser Unsinn.«
Arthur griff mit seiner plumpen Hand nach der Zeitung und blätterte sie durch.
»Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich sie mir ausleihe? Ist ein ziemlich gutes Beispiel dafür, wie man eine Schlagzeile nicht schreiben sollte.«
»Aber bitte sehr.«
Jonathan trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte und dachte nach. Er fühlte sich, als würden die Teile des Puzzles in seinem Kopf umherschwirren. Wenn er sie nur zusammensetzen könnte.
»Wann wurde James Arkel noch mal ermordet?«, fragte er langsam.
»Ich hab es dir doch gesagt«, entgegnete Carnegie. »Vor zwölf Jahren, vierundzwanzigster Januar, Jahr der Finsternis einhundertsechs.«
»Das war dasselbe Jahr, in dem meine Mutter verschwunden ist, richtig?«
Der Wermensch nickte.
»Theresa verschwand ein paar Monate später.«
Plötzlich passten zwei Puzzlestücke fast zusammen. Jonathan sprang auf und wedelte mit dem versengten Zeitungsausschnitt vor Carnegies Gesicht herum.
»Verstehst du nicht? Es gibt eine Verbindung zwischen dem Mord an James und dem Verschwinden meiner Mutter. Der Artikel beweist es! Sie muss herausgefunden haben, dass die Gentlemen etwas damit zu tun hatten. Sie müssen versucht haben, sie zum Schweigen zu bringen!«
Jonathan hielt inne. Sein Magen zog sich plötzlich zusammen. Falls Theresa das Geheimnis der Gentlemenaufgedeckt hatte, was hatten sie getan, um sie zum Schweigen zu bringen? Beide, James Arkel und Edwin Rafferty, waren tot. Ermordet auf die dramatischste und spektakulärste Weise. Aber von Theresa wurde nie eine Spur gefunden. Sie war einfach … verschwunden.
Arthur legte eine Hand auf seinen Arm.
»Hör mal, Jonathan«, sagte er sanft. »Es ist nur natürlich, dass du herausfinden willst, was mit deiner Mutter passiert ist. Aber dieses Stück Papier beweist gar nichts. Wenn Theresa irgendwie herausgefunden hat, wer James ermordet hat, warum hat sie dann niemandem davon erzählt? Warum hat sie nicht mit mir oder Lucien gesprochen? Das ist die wichtigste Regel des investigativen Journalismus, mein Junge: Versuch nie, die Fakten deiner Theorie anzupassen.«
»Ich kann es nicht erklären – es ergibt einfach einen Sinn! Es ist wie eine von deinen Eingebungen, Arthur. Ich weiß, dass ich recht habe.« Er blickte zu Carnegie. »Hat dir mein Vater jemals etwas darüber erzählt?«
»Junge, ich habe Alain nicht mehr gesehen, seit deine Mutter verschwunden ist. Ich weiß nicht, wo er in deinem Teil von London lebt, und falls er jemals wieder in Darkside war, hat er mich nicht besucht.«
Ein Schauer lief Jonathan den Rücken herunter.
»Ich bin mir sicher. Es ist Zeit, nach Lightside zurückzukehren.«
11
Carnegie lag ausgestreckt auf dem Kanapee in seinem Büro und kaute genüsslich auf einem Stück Fleisch undefinierbarer Herkunft. Das Geräusch seiner Zähne, die sich durch das Muskelfleisch und das Fett arbeiteten, erfüllte den Raum. Hin und wieder grunzte er zufrieden. Als Jonathan aus dem Nebenzimmer den Raum betrat, blickte der Wermensch ihn unverhohlen amüsiert an.
»Fühlst du dich jetzt besser, nachdem du dich umgezogen hast?«
Jonathan sah an sich herunter und zuckte mit den Schultern. Er hatte sich so sehr daran gewöhnt, Hemden und Westen zu tragen, dass er sich in seiner Lightside-Kleidung so unwohl fühlte, als trüge er eine Schuluniform. Seit er das erste Mal nach Darkside gekommen war, war er immer unsicherer geworden, was denn eigentlich »normal« war.
»Ich würde nicht sagen besser «, entgegnete er. »Ich habe mich nur verändert. Du bist dir sicher, dass du nicht mitkommen willst?«
Carnegie schüttelte den Kopf und warf das Stück Fleisch aus dem Fenster.
»Lightside ist einfach nichts für mich. Es gibt hier viel zu tun, während du weg bist. Außerdem hast du deinen Vater eine ganze Weile nicht gesehen. Es ist gut, wenn du etwas Zeit mit ihm verbringst, ohne dass ich im Hintergrund herumschleiche.«
Er blickte aus dem Fenster und schätzte anhand des Sonnenstandes die Uhrzeit.
»Wir nehmen besser eine Droschke. Dein äußeres Erscheinungsbild könnte auf der Hauptstraße Aufmerksamkeit erregen, und das wäre nicht gut.«
»Wohin gehen wir?«
»Zu einem Übergang, den ich ein paar Mal benutzt habe. Wir werden einige Zeit dorthin brauchen, aber es ist sicherer so.«
»Langweilig«, sagte Jonathan gedehnt.
»Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich für meinen Teil kann hin und wieder gut etwas Langeweile
Weitere Kostenlose Bücher