Der schwarze Regen
setzt sich in seinen schwarz bezogenen Sessel und blickt dem jungen Mann in die Augen.
Er kennt ihn, seit er ein Kind war, er erahnt jeden seiner Gedanken jede Angst jeden Zweifel, kennt seine Vorzüge und seine Fehler, seine Sünden und die entgangenen Versuchungen, er weiß, dass er Priester geworden ist wegen des Knies, das ihn verraten hat, wegen der zerstörten Karriere, wegen der gescheiterten Träume, er weiß, wenn vor ein paar Jahren nicht dieses Spiel gewesen wäre, würde der Junge jetzt auf dem Kontinent einen Sportwagen fahren, trinken und rauchen und fluchen wie alle Teufel seines Alters, er weiß alles von ihm, Don Mulas, aber er wird ihm heute Morgen nicht die Leviten lesen, danach steht ihm nicht der Sinn, er wird ihm eine gute Reise wünschen und ihm schweigend seinen Segen geben, sonst nichts.
Ja, ich reise morgen in aller Frühe.
Das Heilige Land?
Jerusalem, Nazareth, Bethlehem, Cara und Rückflug von Tel Aviv. Ein Geschenk des Herrn Bischof.
Er ist ein kluger und großzügiger Mann, Alberto, enttäusche ihn nicht, streng dich an und du wirst von der Zukunft alles bekommen, was du dir wünschst.
Während der letzten Worte blickt er dem jungen Mann fest in die Augen, Pater Alberto streicht über seine ausgefranste Jeans, Jetzt fängt die Predigt an, sagt er sich, aber Don Mulas hat wie immer in seinen Gedanken gelesen, sein Gesicht erstrahlt in einem breiten heiteren Lächeln, Ist schon gut, sagt er und macht eine Handbewegung, als wollte er eine Fliege verscheuchen oder eben einen unangenehmen Gedanken, Ist schon gut, ich bin ein arger Quälgeist, ich schaffe es immer wieder, jemanden nachdenklich zu machen, der eigentlich unbeschwert sein, beten und seinen Spaß haben sollte. Diese Reise wird dir doch Spaß machen, oder?
Da bin ich mir sicher, sagt der junge Priester und denkt, während er das sagt: Hoffentlich habe ich heute Abend meinen Spaß, hoffentlich gelingt es mir heute Abend, wenn ich vor Marta stehe, ruhig zu bleiben, sie zu küssen und sie um Verzeihung dafür zu bitten, dass ich ihr wehgetan habe, sie zu bitten, mich zu vergessen, nach Hause zu gehen und ruhig zu schlafen, ihre Augen zu vergessen, ich pfeif auf sie in Palästina, ich pfeif auf den Bischof, das ist vorbei, morgen reise ich ab und dann geben sie mir die Stelle.
Ich will dir etwas schenken, sagt Don Mulas, erhebt sich von seinem Sofa und beginnt in den Fächern einer alten Anrichte mit riesigen Schubladen und geschliffenen Spiegeln herumzusuchen.
Pater, sagt Alberto zu dem alten Priester, der nicht findet, was er sucht, und immer weiter Tücher und Päckchen und Kandelaber und Rosenkränze herausholt, Lassen Sie es gut sein, Pater, wirklich, ich brauche nichts, nur Ihren Abschiedsgruß.
Warte, warte, ich hatte es hier, ich bestehe darauf … da ist es ja!
Und endlich richtet er sich auf, in der Hand ein Silberdöschen, das älter als das Kruzifix nebenan, als der Kirchturm, als das ganze Land sein mag, Was zum Teufel ist das, denkt der junge Priester, er sagt nichts, Don Mulas liest die Frage von seinem Gesicht ab.
Ein Hostienbehälter, ich habe ihn vor langer Zeit gekauft, eine Reise nach Lourdes. Ich glaube, er ist antik.
Der junge Mann runzelt die Stirn, Das sollen Sie doch nicht, sagt er, Wirklich, Pater, das ist nicht nötig.
Rede keinen Unsinn, Alberto, ich will es so – er drückt ihm das Geschenk in die Hände, er wirkt gerührt, der junge Priester antwortet ihm mit einem höflichen Lächeln, beginnt zu überlegen sich zu erinnern sich Fragen zu stellen über diesen alten Priester über sein Leben über seine Kindheit, fragt sich Wer bist du, Priester Mulas, dass du mir dieses Schmuckstück aus Silber schenkst, ist das dein wahres Gesicht?, erinnert sich an seine Predigten, die er immer schon sterbenslangweilig gefunden hatte, und die Rügen wegen der Kragen, die zu armselig für die Totenmessen waren, und die Freude des Mannes angesichts des bis zum Rand mit Münzen gefüllten Korbes, sein breites Lächeln, wenn er die erdigen Hunderttausendlirescheine berührte, und die Tarife für Hochzeiten und Taufen, an denen nicht zu rütteln war, Wer bist du?, fragt sich Alberto Sannìo und starrt in die glänzenden Augen des Pfarrers, und er erinnert sich wieder an die sterbende Tante Norina und die nächtlichen Gebete des Priesters am Bett der Frau, seine Tränen, als sie ihren letzten Atemzug tut, und das Gebrüll von der Kanzel eines Sonntagmorgens, das hysterisch verzerrte Gesicht des
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