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Der schwarze Regen

Der schwarze Regen

Titel: Der schwarze Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Flavio Soriga
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Mülldeponie, Umweltbelastung und Abfälle, die entsorgt werden müssen, die schlecht entsorgt werden, die Rückstände des Konsumverhaltens aller, Maresciallo, der Preis für das, was wir haben, für das, was wir sind. Ich bedaure, dass Sie meine Argumente nicht hören wollen, denn, wie ich höre, sind Sie doch ein halber Anthropologe, und meine Argumente sind schließlich kulturelle Argumente, ich spreche von dem, was wir tun müssen, denn die Abfälle sind der eigentliche Kern dessen, was wir sind, dessen, was wir geworden sind, und deswegen werde ich auch nichts unternehmen, werde ich Ihren Wünschen nicht nachkommen.
    Ich hatte mir überlegt, Ihnen einen sizilianischen Schriftsteller zu zitieren, den vielleicht auch Sie mögen, ich wollte Ihnen eine Passage über die Insel vorlesen, die mit dem Ozelot versinkt, der am Bug auf den Hinterbeinen steht, und die Farben von Guttuso in seiner Flaggengala und die engagierten Schriftsteller und die Widerwilligen und die Verrückten und die Gehörnten – Sie sehen, ich kenne sie fast auswendig –, ich wollte Ihnen von den historischen Momenten erzählen, die sich wiederholen, und von der Unbeständigkeit jeder Macht, vor allem der, gegen die Sie ermitteln und die Sie bestrafen müssen, und von der Sinnlosigkeit der Heldentaten, der Rebellionen und davon, dass alles seit langem verloren ist und dass wir nichts tun können, dass wir nichts ändern können, aber ich bemerke, dass ich mich vergaloppiere, dass Sie mich vermutlich nicht verstehen, mich für einen Feigling halten könnten, und das ist nicht der springende Punkt. Daher wähle ich ein anderes Zitat, kehren wir zu unseren großen Schriftstellern zurück, zur größten. Sie mögen die Deledda nicht, stimmt’s? Sie brauchen nicht zu antworten, Ihre Grimasse sagt alles, und ich verstehe Sie, ich kenne die bekannten Kritiken der Nuoreser und der Sarden über Deledda, über ihren Stil, ihren leicht manieristischen Exotismus. Zum Teil sind sie berechtigt, aber es bleiben ein paar meiner Meinung nach geniale, erhellende Seiten, und eine muss ich Ihnen doch vorlesen, um mich verständlich zu machen, es sind die Worte, die der alte weise Schäfer dem jungen ungeduldigen Knecht sagt, der die Reichen um ihr Glück beneidet.
    Er stand auf, nahm einen Band aus einem kleinen Regal an der Wand, schwarz, in Leder gebunden, öffnete ihn, blätterte kurz und begann zu lesen:
     
    Die Herren! Was, glaubst du, sind die Herren? Menschen wie wir. Und glaubst du, dass sie zufrieden sind? Durchaus nicht! Junge, warum lege ich dir das in den Mund? Wir sind alle geboren, um zu leiden, um unser Kreuz zu tragen. Nicht einmal tot würdest du an der Stelle dieser Herren sein wollen, die du für glücklich hältst – wenn du wüsstest, was in ihrem Topf kocht. Hinter ihren Augen steckt ein Ungeheuer, das sie verschlingt: Sie sind schwach und körperlich krank und niederträchtig und erbärmlich. Sie sind voller Schulden, Sorgen, Ängste, und ihr Lachen ist wie das silbrige Hohngelächter eines schon zerbrochenen Tellers, der immer noch neu aussieht. Sie schlafen mit allen, aber sie lieben nicht und werden von keiner Frau geliebt, wie wirst du so sein können, wenn du arbeiten und dir auf ehrliche Weise einen Schafstall und eine Ziegenherde verschaffen wirst? Sie spielen, sie spielen! Ach, Kinder meines Herzens! Sie spielen, wie die sterbende Fliege im Herbst summt. Und wer hindert dich daran zu spielen? Geh ins Tal, schneide das zarte Rohr, mach dir ein Paar Lockpfeifen wie die Schäfer der Ebene. Deine Musik wird immer besser sein als diejenige der Gitarren der Herren. Sie essen und schlafen? Isst und schläfst du etwa nicht? Warum du keine guten Dinge isst? Aber weißt du, dass sie die guten Dinge erheblich schlechter verdauen als du das Gerstenbrot?
     
    Crissanti hatte ihm zugehört, während er las, seine Wut hatte sich gelegt, er wartete darauf, dass der Richter weitersprach und zum Ende kam, er hatte keine Lust mehr, wollte nicht weiter zuhören, wollte nichts antworten.
    Wir sind alle Herren geworden, Maresciallo, alle, auch Sie und Ihr schwuler Freund. Ein guter Junge, Ihr Freund, gebildet und klug, ich kenne ihn nicht persönlich, aber wir haben gemeinsame Bekannte, vor einiger Zeit ist er der Freund meiner Tochter gewesen. Aber auch er ist ein Herr geworden, wie alle, und leidet unter den gleichen Bauch- und Seelenschmerzen wie die Reichen in dem Buch, und der springende Punkt ist doch: Wenn man eine Mülldeponie oder das

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