Der schwarze Regen
als der Gefreite Lerici ihnen schon entgegenkam, mit erregtem Gesicht und aufgeregter Stimme, Wir haben es geschafft, rief er dem Maresciallo zu, der die Wagentür schloss, Was soll das heißen?, fragte Crissanti ihn schnaubend, noch immer verloren in seiner schlechten Laune, in der Erinnerung an die Diskussion mit dem Richter, Eine Zeugin, erwiderte jener, Eine junge Frau, kommen Sie, kommen Sie, und er schob den Vorgesetzten fast in sein Büro, wo tatsächlich eine junge Frau aufstand, ihm zulächelte und ihm eine Hand voller Ringe und Armbänder reichte, der Maresciallo erwiderte den Gruß und setzte sich in seinen Sessel, Erzählen Sie, sagte Crissanti und ermutigte sie mit einem Lächeln, während er begann, sie zu mustern, hübsch und jung, beige und braun gekleidet, ein granatapfelfarbenes Band hielt ihr Haar zusammen, Sind Sie der Maresciallo?, fragte die junge Frau, der Carabiniere musste lächeln, Warum, kommt Ihnen das merkwürdig vor?
Sie wirken sehr jung, ich habe mir einen alten Mann mit Bauch, breiten Schultern, unfreundlichem Benehmen vorgestellt – sie lächelte und war sympathisch, ein Piercing in der Nase und ein weiter Rock – Das ist auch ein Grund, warum ich nicht sofort gekommen bin. Ich mag Carabinieri und Polizisten nicht besonders.
Ich verstehe, sagte Crissanti, Ich verstehe, und wartete, dass sie mit ihrer Aussage begänne.
Vor allem nachts.
nachts gibt es viele Sterne,
alle in einem Fluss
wie ein Band an den Fenstern
der Häuser voll armer Leute.
Pablo Neruda
1
Nicola Rau starrt auf das Wasser des Flusses, der eisig unter seinen Füßen fließt, auf dem Rand sitzend, die Beine im Leeren, die Hände hinter dem Rücken aufgestützt, er spürt seinen Bart, den er seit drei Tagen nicht rasiert hat, er ist über vierzig und spürt sie alle, die Knochen die Beine die Schultern, sein Körper ist schwer wie seine Gedanken, ein kalter klitschnasser Winternachmittag, blauer Mantel, verlorener Blick, Nicola Rau hat das ganze Leben schnell gelebt, liebend und fickend und leidend und singend, er betrachtet das strömende Wasser, sieht sich wieder als Junge, aber für Erinnerungen und Bedauern ist jetzt nicht die Zeit, er ist ein Mörder, er hat eine Frau umgebracht, er kämpft schweigend mit dem Gedanken des Endes, sich in den Fluss zu stürzen, allem zu entfliehen, sich dem Rio Arresu, der reißenden Strömung zu überlassen, Körper und Gedanken befreit von der Last, ein toter Mörder, der schnell zum Meer oder zum Teich flieht, auf jeden Fall weit weg, das Ende jedenfalls.
Vor langer Zeit hatte Nicola Rau schöne Lieder über Kämpfe und Gewehre geschrieben, über Frauen, die warten, über einsame Witwen, Reiter, die aufbrachen und niemals zurückkehrten, über Bäume gekrümmt, gebeugt vom Hass, von der Last der Schreie, von in der Schlacht verwundeten Soldaten, um die sich niemand kümmert, über Pferde, die auf die feindliche Front zustürmen, schneller als die Befehle der Kinderoffiziere.
Vor langer Zeit, denkt schweigend der Sänger, der Mörder, wäre ich nie auf den Gedanken gekommen, mich in einen Fluss zu stürzen, aber heute, mit vierzig und einem spitzen Gesicht, was hält mich zurück?, eine zufällig geheiratete Frau, kennen gelernt bei der Arbeit im Büro, die ich hasse, die mich erstickt und tötet, die mich unnütz und zum Trottel macht, eine ziemlich hässliche Kollegin, die meine Frau werden wollte, wer weiß, warum ich sie wirklich geheiratet habe, an einem Tag im Juli in irgendeiner Kirche, Verwandte von ihr, die mich gerührt umarmten, Namen, die ich nicht kenne, die ich noch immer verwechsle
ich habe zufällig und irrtümlich eine Frau geheiratet, auch wenn sie mich liebt mich vergöttert
ich habe Verwandte bekommen in einem Dorf, das nicht meins ist, in das ich geflüchtet bin, um in Ruhe alt zu werden, ich, der ich nicht einmal im Schlaf ruhig bin, ein kleiner ordentlicher Garten, ein paar Abgeordnete als Freunde, teure Kunstbücher, die mich fremd aus glänzenden Glasfenstern ansehen
ich habe Platten und Kassetten, die ich nicht hören kann, weil es mir schon Schmerz und Qual bereitet, sie nur anzusehen, weil es Strophen, Worte sind, tönende Anklagen, wegen der Dinge, die ich nicht gemacht habe, weil der Mut mir fehlte, ich erinnere mich an ein Konzert während der Messe in der Stadt, zweitausend Menschen singen meine Verse an einem Sommerabend vor hundert Jahren, ich habe die Mundharmonika am Mund, erkaltet,
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