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Der schwarze Regen

Der schwarze Regen

Titel: Der schwarze Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Flavio Soriga
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aufgedunsen, dunkle Tränensäcke verschwiemelte Augen, Hast du schlecht geschlafen?, fragte der Maresciallo, Ich schlafe immer schlecht, erwiderte er.
    Draußen regnete es noch immer, eine Art dicker Nebel bedeckte den Asphalt die Erde die Häuser, grauer und niedriger Himmel, im Haus des jungen Mannes lagen Reisig und Eichenwurzeln in einem riesigen Kamin, dunkle braune Kerzen brannten auf einem Tischchen, aus einem Zimmer drang die heisere Stimme von Marlene Dietrich, es roch angenehm nach Wachs und verbranntem Holz, Crissanti zog seinen Mantel, die Jacke mit den Rangabzeichen aus, der junge Mann fragte ihn, was er trinken wolle, Einen Kaffee, antwortete er, streckte die Beine mit den Stiefeln zum Kamin aus, schloss die Augen, das warme Halbdunkel des Hauses, die Anmut der antiken Möbel, die ethnischen Darstellungen in den schwarzen Rahmen gefielen ihm, der junge Mann hatte seine Eltern vor ein paar Jahren durch einen Unfall verloren, er hatte das Studium abgebrochen und den Kontinent verlassen, war in die Heimat zurückgekehrt, lebte wie ein Gefangener zwischen Haus und Garten. Vielleicht langweilt er sich wie ich, fragte sich Crissanti, Trauert dem Stadtleben nach, zumindest manchmal.
    Na, Maresciallo, das ist ein Wetter, hm? Erst regnet es monatelang nicht, und dann will alles auf einmal runterkommen. Tropisches Klima. Die früheren Jahreszeiten gibt es nicht mehr, da kann man sagen, was man will.
    Er lächelte, Gemeinplätze und Maximen und Sprichwörter gehörten zu ihren Lieblingsthemen, und Bücher und Politik und die Schönheit Roms und Venedigs und die Frauen, wenigstens im Allgemeinen, denn seit sie angefangen hatten, miteinander zu verkehren, hatten sie sich niemals zu Vertraulichkeiten hinreißen lassen. Crissanti erwiderte das Lächeln nicht, antwortete auch nicht auf den Gemeinplatz, wie ihr Spiel es verlangt hätte, er war an diesem Vormittag in einer zu düsteren Stimmung, das Wetter die Langeweile, Was machst du nachts, wenn du nicht schlafen kannst?, fragte er den jungen Mann, Ich kriege schon den Tag nicht rum, wenn ich unter Schlaflosigkeit leiden würde, ich glaube, ich würde verrückt.
    Ich bin verrückt, erwiderte der Freund, diesmal lächelte er nicht.
    Na ja, ich lese. Nachts lese ich und höre Radio. Manchmal besucht mich jemand, und wir lesen und hören zusammen Musik.
    Der Maresciallo starrte ihn an, mager knochig ausgemergelt, hervorstehende Jochbögen schmale Augen, tiefliegend, aber wach, ihm kam der Gedanke, dass er vielleicht schwul war, er versuchte sich zu erinnern, welche Krankheit er hatte, er kam nicht auf den Namen, irgendwie hatte es mit dem Blut zu tun oder den Blutplättchen oder mit beidem.
    Und was hast du heute Nacht gelesen?
    Etwas ganz Langweiliges, schrecklich. Eine Untersuchung, die Doktorarbeit eines alten Klassenkameraden vom Gymnasium. Es geht um Abfall, Mülldeponien und Geschäfte mit Giftmüll. Deswegen hab ich dich auch gebeten, heute Vormittag zu mir zu kommen. Ich muss dir etwas zeigen. Allerdings nicht dem Freund, sondern dem Maresciallo. Sagen wir, eine Art Anzeige.
    Ich hatte gehofft, du lädst mich ein, damit wir ein bisschen plaudern und Tee trinken. Ich sterbe vor Langeweile, Giovanni. Ich kann nicht mehr.
    Wir werden nachher plaudern, wart nur ab. Sogar eine Diskussion. Du wirst sehen, das Thema wird dir gefallen.
    Na gut, dann zeig mir, was du mir zeigen willst.
    Warte, der Kaffee ist fertig. Erst das Vergnügen, dann die Pflicht.
    Er brachte aber nur ein Tässchen, leistete Crissanti nicht Gesellschaft, zündete sich eine Zigarette an, rauchte sie schnell, mit einer Art Hast, als wäre sie die letzte seines Lebens.
    Komm, sagte er dann zum Maresciallo, gehen wir ins Gewächshaus. Habe ich es dir eigentlich schon gezeigt?
    Crissanti schüttelte den Kopf, folgte seinem Gastgeber durch ein Türchen an der Rückseite des Hauses, und sie kamen in den Garten, breit und lang und von Hecken aus Feigenkakteen umschlossen.
    Ganz hinten, wo früher einmal eine Garage gewesen sein musste, ragte ein Gewächshaus aus dünnen Glasscheiben zwischen Eukalyptusbäumen Pinien Granatapfelbäumen hervor.
    Das Wasser traf sie mit ganzer Wucht, und ein eisiger Wind, Scheißregen, verzichten wir auf die Blumen, sagte der junge Mann, Ich zeig sie dir ein anderes Mal, komm, komm, wir sind fast da. Hier.
    Auf dieser Seite wurde der Garten zum Obstgarten: Orangen Quitten Pfirsiche Mandarinen, Crissanti ging an dem jungen Mann vorbei, presste seine Mütze fest auf den Kopf,

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