Der schwarze Schattenjaeger
aber ich kann mich damit nicht anfreunden. Irgendwie kribbelt dann alles und diese Nähe ist mir unangenehm. Aber ich will Sophie oder meine Tante Abby nicht verschrecken, indem ich ihnen das sage.
„Nicht schlimm, ich lese so lange etwas. Vielleicht wacht sie ja zwischendurch auf“, antworte ich gelassen, als wäre es für mich in Ordnung. Als würde nicht gerade eben meine kleine Welt zusammenbrechen. So viele Stützpfeiler sind bereits zerstört und haben tiefe Wunden in mein Herz gerissen. Nur noch ein Pfeiler ist übrig. Er ist morsch und droht jederzeit zu brechen. Aber noch hält er, auch wenn er wackelt und schwankt. Er hält meine Welt aufrecht. Sophie und Ellen nicken mir freundlich zu, als ich sie zur Tür begleite. Ich bleibe noch etwas im Türrahmen stehen und schaue ihnen nach, während sie mit dem Auto wegfahren.
Und dann wird es still.
Langsam drehe ich mich herum und blicke in den dunklen Flur. Beinahe träge geht die Sonne unter und da der Berg und der Wald hinter dem Haus sind, liegt es bereits seit einer Stunde im Schatten. Das Licht in der Küche brennt noch, aus der mich der Duft von Kaffee und Tee erreicht. Hier riecht es nun wie im Bookdelicious , sodass ich mich beinahe wie auf der Arbeit fühle. Und das ist gut so, denn es lenkt mich ab. Ich schließe für einen Moment meine Augen und erinnere mich an die Geräusche aus dem Bookdelicious. Die vielen Stimmen der Gäste, die Schritte, die über den Boden hallen, das Klimpern der Gläser und die Geräusche der Löffel, wenn man die Milch und den Zucker in den Tassen herumrührt. Das Rascheln, wenn man einen Pappbecher nimmt und ihn mit Kaffee oder Tee füllt, und der Duft der frischen Backwaren. Ich verliere mich für einen Augenblick in meiner Erinnerung, bis ich meine Augen wieder öffne. Hier ist niemand. Nur ich und meine Mom, die schläft. Ich lausche und vernehme sogar das Ticken der Standuhr, deren Klang durch die geschlossene Tür drängt und ein Klopfen. Es ist das Klopfen meines Herzens. Diese Stille ist nicht schön. Sie ist unheimlich. Erneut schließe ich meine Augen und stelle mir vor, wie meine Mom aus der Küche lugt, sich dabei die Hände an einem Handtuch säubert und mir zuruft, dass das Essen fertig ist und sie sich freut, dass ich schon zuhause bin. Ich traue mich gar nicht, meine Augen zu öffnen. Denn ich weiß, dass dort niemand ist, der mich begrüßt. Doch jetzt, wo meine Augen noch geschlossen sind, kann ich davon träumen und diesen Moment genießen, indem ich zwischen Traum und Realität schwanke.
Man weiß nicht, ob die Katze lebt oder schon tot ist, würde Schroedinger wohl sagen.
Ich atme tief ein und langsam aus, bevor ich meine Augen öffne. Tränen kullern über meine Wangen, die ich sofort wegwische. Wie einstudiert beginne ich mich auszuziehen. Die Schuhe stelle ich neben die Heizung, die Jacke hänge ich an den Garderobenständer, die Handschuhe lege ich daneben auf ein Sideboard. Alles hat seinen Platz, alles seine Ordnung. Mechanisch laufe ich in die Küche und beginne zu kochen. Reis mit Gemüse, das ich sorgfältig schneide und in eine Pfanne gebe. Die Küchentür ist derweil geschlossen, da ich befürchte, das Brutzeln oder der Geruch könnte meine Mom stören. Ich esse etwas und schleiche dann zu ihrer Tür, lausche daran. Ob sie noch schläft? Ich wage es kaum zu atmen, da ich das Gefühl habe, etwas Verbotenes zu tun. Ich würde sie so gerne wecken und erzählen, wie mein Tag war, aber es ist wichtig, dass sie viel schläft, damit sie zu Kräften kommt und sich vielleicht wieder erholen kann. Auch, wenn ihr Krebs unheilbar ist. Meine Hände ruhen auf der Tür und meine Stirn lehnt dagegen. Ich bin ihr so nah und doch muss ich mich zusammenreißen. Ich darf nicht egoistisch sein und sie dabei vernachlässigen. Nur einmal, ganz flüchtig, öffne ich die Tür einen Spalt und schaue, ob sie noch atmet. Das Gerät, an dem sie angeschlossen ist, funktioniert, und ich sehe, wie sie sich bewegt. Auch wenn diese Bewegung kaum zu erkennen ist, ich bemerke sie. Alles ist in Ordnung. Erleichtert schließe ich die Tür wieder und gehe ins Bad, fülle einen Eimer Wasser und beginne, das Wohnzimmer zu putzen. Hier halte ich mich eigentlich nie auf, aber der Staub muss dennoch entfernt werden.
Früher haben wir hier oft zusammengesessen und Brettspiele gespielt. Damals lebte mein Dad noch. Als er starb, spielten meine Mom und ich alleine. Tante Abby und Roger waren da, auch als sie schwanger wurde und
Weitere Kostenlose Bücher