Der schwarze Schattenjaeger
Eltern bewahre ich in einer Metallkiste auf. Ich kann sie mir nicht ansehen, solange meine Erinnerungen noch so frisch sind. Ich bringe es einfach nicht übers Herz. Gegenüber der Tür steht mein Bett. Es ist groß, breit und mit einer grau-weißen Steppdecke darüber, die ich vor einigen Jahren selbst genäht habe. Ein weißer Lampenschirm ragt auf dem Nachttisch empor, der ein angenehmes, warmes Licht im Zimmer verteilt, doch noch habe ich ihn nicht angeschaltet. Mit den Fingerspitzen berühre ich den großen Schalter. Der Raum wird vom Licht durchflutet. Ich spüre den weichen Teppich unter meinen Füßen, der auf dem Parkettboden liegt. Er befindet sich in der Raummitte und ist behaglich. Vielleicht wäre es gut, ein neues Bücherregal zu bauen. In denen, die ich habe, ist längst kein Platz mehr für neue Bücher und ich habe nur noch eines, das bald ausgelesen ist. Ich gebe mein Gehalt sowieso nur für Bücher aus. Manchmal für ein neues Kleidungsstück oder Lebensmittel. Ich blicke zu meinem zweiten Schreibtisch. Meiner kleinen Werkstatt. Hier bewahre ich kleine Dinge auf, die andere weggeworfen haben, um sie zu reparieren. Einmal war sogar eine Kuckucksuhr dabei, die nun im Wohnzimmer hängt. Aktuell schraube ich an einem Radio, aber ich schaffe es nicht so ganz, es zum Laufen zu bringen. Meistens ist es aber Spielzeug. Wenn es wieder funktioniert, gebe ich es Kimmy oder im Kindergarten ab. Dann bekomme ich es aber recht schnell wieder …
Ich muss lächeln, wenn ich daran denke.
Bevor ich mein Buch weiterlese, schaue ich auf mein Handy. Joshua hat mir geschrieben, dass er noch länger arbeiten musste, aber morgen vor der Arbeit im Café vorbeischauen wird. Während ich so dasitze, das Buch aufgeklappt neben mir und mit dem Handy in der Hand, höre ich nur meinen eigenen Herzschlag und das Knacken der Holzbalken. Die Dachschräge fängt über meinem Kopf an, spitz zur Tür zu verlaufen. Es ist ein älteres Haus. Das Holz arbeitet, hat mir mein Dad früher gesagt, als ich noch glaubte, dass Geister und Kobolde in meinem Zimmer herumspuken.
Heute ist aber niemand mehr da, der für mich im Schrank oder unter meinem Bett nach Monstern sucht. Heute bin ich erwachsen und kann selbst nachsehen. Manchmal. Nur manchmal, in dunklen Nächten, wenn die Holzbalken ächzen und ein Sturm über Pemberton und den Wald hinwegfegt. Der Wind nimmt etwas zu und es schneit wieder dicke Schneeflocken, die gegen die Fenster gewirbelt werden. Links und rechts von mir sind zwei Fenster angebracht, die vom Boden bis zur Decke reichen. Tagsüber bietet es mir ein herrliches Panorama. Doch nachts, wenn die Holzbalken knarren, möchte ich mich am liebsten neben meine Mom legen, da sie mir Zuflucht bieten könnte und ich mich sicher geborgen fühlen würde. Stattdessen verkrieche ich mich unter die Bettdecke, kuschel mich in die Steppdecke hinein und lese immer und immer wieder die Nachricht von Joshua. Ich hätte so gerne eine beste Freundin in meinem Alter, die ich jetzt anrufen könnte. Dann könnte ich ihr von meinem heutigen Tag erzählen und Valom. Mein Herzschlag beschleunigt sich, als ich an ihn denke, und ich muss schlucken. Wenn ich eine beste Freundin hätte, dann könnte ich mit ihr über alles reden. Aber so bleibt mir nichts anderes übrig, als die Nachricht von Joshua immer wieder zu öffnen, zu lesen, zu schließen und wieder zu öffnen. Ich will ihn auch nicht belästigen oder zurückschreiben, da er sicher andere Sorgen hat, als sich um mich zu kümmern.
Wo war ich nur bei dem Buch? Ach ja … ich hatte ja ein Lesezeichen benutzt. Seite 172. Mir gefällt das Buch bisher sehr. Ein verwunschenes Königreich, ein Prinz, eine Liebesgeschichte und Spannung pur! Genau das, was ich jetzt brauche. Wie es wohl wäre, Valom zu küssen?
Ich schrecke zusammen. Woher kam denn plötzlich dieser Gedanke? Natürlich, das Buch war schuld! Ich hatte zuletzt die Szene gelesen, in der sich die Protagonistin genau das gefragt hat. Ich kenne ihn doch gar nicht und doch kommen mir solche Gedanken. Beschämt rutsche ich ein Stück in meiner Kissenlandschaft herunter und mummel mich tiefer in die Steppdecke hinein, als würde mich das davor schützen, dass Valom diese Gedanken je erfährt. Auf der anderen Seite … Wie wäre es wohl? Wie nur?
Plötzlich schrecke ich hoch. Ich war eingeschlafen. Noch immer brennt meine Nachttischlampe und das Buch liegt unter meinem Arm. Ich blinzle und versuche auf dem Wecker zu erkennen, wie spät es
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