Der schwarze Schattenjaeger
weil ich so tue, als würde ich etwas in der Küche machen. Erst jetzt gehe ich zurück zu ihr und stelle meiner Mom etwas Zwieback hin.
„Ich mache uns noch einen Tee, dann muss ich leider schon wieder los“, sage ich beinahe summend. Meine Mom beobachtet mich ruhig und antwortet mir nicht. Sofort eile ich zurück in die Küche, wo ich etwas Wasser zum Kochen bringe und in zwei Tassen gebe.
„Kamillentee?“, frage ich Mom. Ich spüre einen dicken Kloß in meinem Hals, den ich einfach nicht herunterschlucken kann. Ich stehe wieder vor ihr mit zwei Tassen in der Hand und einer Auswahl diverser Teebeutel. Meine Mom hat schon seit Monaten keinen Tee mehr getrunken oder etwas gegessen. Das weiß ich. Dennoch biete ich ihr jeden Morgen etwas an, denn wenn ich damit aufhöre, dann fehlt mir etwas. Und wieder bin ich egoistisch und ich weiß das auch, aber ich kann nichts dagegen tun. Ich will auch gar nichts dagegen tun.
„Kamille …“, haucht Mom kraftlos und schließt dann wieder ihre Augen.
Die wenigen Minuten, die mir mit meiner Mom bleiben, vergehen wie im Flug, ehe Sophie wieder da ist und mich ablöst. Alles geschieht so routiniert. So automatisch, als wäre ich nur ein kleines Rädchen in einer gigantischen Maschinerie, das sich gefälligst zu drehen hat. Doch was, wenn ich kaputtgehe? Tauscht man mich dann einfach aus? Oder repariert man mich?
Ich ziehe die Haustür hinter mir zu und verstaue das Klappmesser in meiner Jackentasche. Dieser seltsame schwarze Schatten war zwar nicht mehr so oft aufgetaucht wie am vergangenen Samstag, aber heute Morgen habe ich mich wieder beobachtet gefühlt. Ich schlief noch, als ich plötzlich hochschreckte. Ich glaube, sogar gesehen zu haben, dass etwas in den Wald gerannt ist. Unwohlsein überkommt mich erneut und so umklammere ich das Klappmesser mit meinen Fingern, während ich mich prüfend umschaue. Sophies Wagen steht in der Auffahrt und die Motorhaube dampft etwas, da der Wagen noch warm ist. Der Mond ist noch zu sehen und ich habe das Gefühl, in einem Horrorfilm zu sein. Es knackt und knistert überall um mich herum, sodass ich mich gar nicht traue loszulaufen. Was, wenn da wirklich ein gefährliches Tier ist? Einem wütenden Hirsch könnte ich doch nie davonlaufen! Oder einem Wolf? Was, wenn es ein ganzes Rudel ist? Die Bären halten längst Winterschlaf, aber so ein Wolfsrudel ist auch im Winter aktiv. Zwar halten sie sich eigentlich nicht so nahe an Häusern auf, aber es kommt auch schon einmal vor, dass ein Wolf durch Pemberton spaziert und einige Mülltonnen durchwühlt, da er im Wald nichts zu fressen findet. Und dieser Winter ist sehr hart. Der Schnee liegt hoch und sie finden sicherlich keine Hasen, die sie fressen können. Ich halte das Messer fest in meiner Hand.
„Es ist alles gut. Da ist nichts …“, murmle ich immer wieder vor mich hin. Dann laufe ich los. Schneller. Schneller! Hastig sehe ich mich um. Niemand ist hinter mir. Nicht einmal ein Hase. Die Lichter in Pemberton weisen mir den Weg und der Mond strahlt den Schnee an, der mir zeigt, wo ich entlanggehen kann. Vollkommen atemlos erreiche ich die ersten Häuser und sehe mich immer wieder um. Nichts zu sehen. Nicht einmal eine kleine Maus kreuzte meinen Weg. Dennoch möchte ich keine Zeit verlieren und eile die Straßen entlang, bis ich das Bookdelicious betrete und einfach nur froh bin, die Tür hinter mir zuziehen zu können. Endlich in Sicherheit!
„Thalis?“, höre ich meine Tante Abby fragend nach mir rufen.
„Ja, ich bin’s, guten Morgen.“ Noch immer japse ich nach Luft und zappele etwas, da ich zu viel von der kalten Luft eingeatmet habe. Sonst laufe ich immer langsamer und atme durch die Nase, aber dadurch, dass ich heute gerannt bin, musste ich durch den Mund atmen.
„Du bist ja schon früh dran.“ Abby klingt verwundert und etwas stolz, als sie aus der Küche kommt und ihre Arme ausbreitet. Sie umarmt mich herzlich und beginnt mich wie jeden Morgen zu knuddeln.
„Ich bin etwas schneller gelaufen. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass etwas im Wald ist. Ein Bär vielleicht oder doch ein Wolf“, sage ich voller Angst. Beinahe hätte ich meine Hände gehoben und sie ebenfalls umarmt, doch ich kann es nicht tun. Aber es tut gut, dass sie mich festhält.
„So nah an Pemberton?“ Sie wirkt besorgt und nickt dann.
„Ich werde Roger Bescheid geben, dass er sich mit seinen Kollegen mal dort umsieht, gleich heute noch, ist das okay?“ Dabei streichelt sie mit ihren
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