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Der schwarze Schleier

Der schwarze Schleier

Titel: Der schwarze Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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berührte und fragte, ob sie sich schwach oder schwindelig fühlte. »Nicht sehr, Vater. Es ist bald vorbei.«
    Als ich mich wieder von den hübschen, geduldigen Augen abwandte, die nun geöffnet waren, und über meinen brennenden Talgtopf hinweg nichts als Grinsen sah, fuhr ich in meinem Billigen-Jakob-Ton fort. »Wo ist der Fleischer?« (Mein kummervolles Auge hatte gerade etwas außerhalb der Menge einen fetten jungen Fleischer ausgemacht.) »Sie sagt, heute Abend hat der Fleischer das große Los gezogen. Wo ist er?« Alle schoben den errötenden Fleischer nach vorn, und es gab einen lauten fröhlichen Aufschrei, und der Fleischer fühlte sich verpflichtet, in die Tasche zu greifen und die Partie zu kaufen. Wen man so aus der Menge hervorhebt, der fühlt sich im Allgemeinen verpflichtet, die Partie zu kaufen – das geht in vier von sechs Fällen gut. Darauf folgte eine andere Partie, das Gegenstück zur Vorherigen, die ich Sixpence billiger verkaufte, was auch immer große Freude bereitet. Dann hatten wir die Brille. Das ist kein besonders profitabler Artikel, aber ich setzte sie auf und sah, um wie viel der Schatzkanzler die Steuer vermindert, und ich sah, was der Liebste der jungen Frau mit dem Schultertuch zu Hause anstellt, und ich sah, was der Bischof zu Abend speiste, und vieles mehr, das fast immer die Laune der Leute hebt; und je besser ihre Laune, desto besser ihre Gebote. Dann hatten wir die Partie für dieDamen – die Teekanne, die Teedose, die gläserne Zuckerdose, ein halbes Dutzend Löffel, ein Warmbierbecher 6 –, und immer schob ich ähnliche Vorwände vor, um ein, zwei Blicke auf mein armes Kind zu werfen oder ein, zwei Worte an Sophy zu richten. Während die Menschenmenge von der zweiten Partie für Damen gefesselt war, spürte ich, wie sie sich ein wenig auf meiner Schulter aufrichtete, um über die dunkle Straße zu blicken.
    »Was beunruhigt dich, mein Liebling?«
    »Nichts, Vater. Ich bin gar nicht beunruhigt. Aber sehe ich da drüben nicht einen hübschen Kirchhof?«
    »Ja, meine Liebe.«
    »Küss mich zweimal, lieber Vater, und lege mich zur Ruhe auf dem Gras dieses Kirchhofs, das so weich und grün ist.«
    Ich wankte in den Karren zurück, ihr Kopf war auf meine Schulter gesackt, und ich sagte zu ihrer Mutter: »Rasch. Mach die Tür zu! Lass es diese lachenden Leute nicht sehen!«
    »Was ist los?«, rief sie.
    »O Frau, Frau«, antwortete ich ihr, »du wirst die kleine Sophy nie mehr bei den Haaren packen, denn sie ist dir fortgeflogen!«
    Vielleicht waren das harschere Worte, als ich beabsichtigt hatte; aber von jener Zeit an verlegte sich meine Frau aufs Grübeln und saß im Karren oder schritt stundenlang mit verschränkten Armen und zu Boden gesenktem Blick nebenher. Wenn die Wut sie packte (was viel seltener als früher geschah), packte sie sie auf neuartige Weise, und siestieß sich selbst so arg umher, dass ich gezwungen war, sie festzuhalten. Es wurde auch nicht gerade besser dadurch, dass sie gelegentlich ein Gläschen trank, und einige Jahre lang fragte ich mich, während ich neben dem Kopf des Pferdes meines Weges einherstapfte, ob es wohl auf den Straßen viele Karren geben mochte, in denen so viel traurige Einsamkeit herrschte wie in meinem, obgleich man zu mir als dem König unter den Billigen Jakobs aufblickte. So schleppte sich unser Leben kummervoll dahin, bis wir an einem Sommerabend, als wir gerade von weiter westlich in England nach Exeter kamen, eine Frau sahen, die ein Kind grausam prügelte, das schrie: »Schlag mich nicht! O Mutter, Mutter, Mutter!« Da hielt sich meine Frau die Ohren zu und rannte davon wie eine Wilde, und am nächsten Tag fischte man sie aus dem Fluss.
    Nun waren ich und mein Hund die ganze Gesellschaft, die noch im Karren übrig geblieben war; und der Hund lernte, kurz zu bellen, wenn die Leute nicht bieten wollten, und noch einmal zu bellen und mit dem Kopf zu nicken, wenn ich ihn fragte: »Wer hat da eine halbe Krone geboten? Sind Sie der Herr, Sir, der eine halbe Krone geboten hat?« Er wurde ungeheuer beliebt, und ich werde immer glauben, dass er sich ganz allein aus seinem Kopf beigebracht hatte, zu knurren, wenn jemand in der Menge eine so geringe Summe wie Sixpence bot. Aber er kam in die Jahre, und eines Abends, als ich gerade York mit der Brille entzückte, dass sich die Leute vor Lachen krümmten, da krümmte er sich auf dem Tritt neben mir aus eigenem Grund, und das erledigte ihn.
    Da ich von Natur aus eine empfindsame Seele bin,

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