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Der schwarze Schleier

Der schwarze Schleier

Titel: Der schwarze Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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schon seit unserer Kindheit!
    Christiana nahm meinen Antrag mit Zustimmung ihrer Mutter an, und dies machte mich überaus glücklich. Mein Leben bei meinem Onkel Chill war von sparsamer, stumpfsinniger Art, und meine Dachkammer war so öde und kahl und kalt wie eine hochgelegene Gefängniszelle in einer strengen nördlichen Festung. Aber da ich Christianas Liebe besaß, fehlte es mir an nichts auf Erden. Ich hätte mein Los mit keinem Menschen tauschen mögen.
    Habsucht war unglücklicherweise das Hauptlaster meines Onkels Chill. Obwohl er reich war, knauserte und sparte und geizte er und lebte elendiglich. Da Christiana kein Vermögen besaß, fürchtete ich mich eine Weile ein wenig, ihm unser Verlöbnis einzugestehen; aber schließlich schrieb ich ihm einen Brief, in dem ich sagte, wie es alles wirklich war. Ich übergab ihm den eines Abends, als ich zu Bett ging.
    Als ich am nächsten Morgen die Treppe hinunterkam und in der kalten Dezemberluft fröstelte – es war im ungeheizten Haus meines Onkels kälter als auf der Straße, wohin wenigstens manchmal die Wintersonne schien und die zumindest von fröhlichen Gesichtern und Stimmen belebt war, die vorbeikamen –, ging ich schweren Herzens auf das lange, niedrige Frühstückszimmer zu, in dem mein Onkel saß. Es war ein großer Raum mit einem kleinen Kaminfeuer, und er hatte ein großes Erkerfenster, das der Regen in der Nacht wie mit den Tränen obdachloser Menschen gezeichnet hatte. Man schaute von dort auf einen ungepflegten Hof mit zerborstenen Steinplatten und einigenhalb ausgerissenen Eisengittern, auf die von der anderen Seite ein hässliches separates Nebengebäude, das einmal ein Sezierraum gewesen war (zu Zeiten des großen Chirurgen, der meinem Onkel das Haus verpfändet hatte), zurückstarrte.
    Wir standen stets so früh auf, dass wir zu allen Jahreszeiten bei Kerzenschein frühstückten. Als ich in das Zimmer trat, kauerte mein Onkel derart von der Kälte zusammengesunken hinter einer trüben Kerze auf seinem Stuhl, dass ich ihn erst sah, als ich schon nah beim Tisch war.
    Ich streckte ihm meine Hand hin, und da nahm er seinen Stock (da er gebrechlich war, ging er im Haus stets mit einem Stock umher), schlug nach mir und rief: »Du Narr!«
    »Onkel«, erwiderte ich, »ich hatte nicht erwartet, Euch darüber so erzürnt zu sehen.« Ich hatte es auch wirklich nicht erwartet, obwohl er ein hartherziger und aufbrausender alter Mann war.
    »Du hattest es nicht erwartet!«, versetzte er. »Wann hast du je etwas erwartet? Wann hast du je etwas berechnet oder vorausgeplant, du verachtenswerter Hund?«
    »Das sind harte Worte, Onkel!«
    »Harte Worte? Immer noch weich wie Federn, viel zu weich, denn man sollte einen törichten Dummkopf wie dich prügeln«, antwortete er. »Hier, Betsy Snap, schau ihn dir an!«
    Betsy Snap war eine verhutzelte, streng blickende, missgünstige alte Frau – unsere einzige Bedienstete –, die stets zu dieser Morgenstunde damit beschäftigt war, meinem Onkel die Beine einzureiben. Während mein Onkel sie beschwor, mich anzusehen, packte er mit seinen mageren Händen ihren Scheitel, da sie neben ihm kniete, und drehte ihr Gesicht zu mir hin. Inmitten all meiner Ängste schoss mir ein unwillkürlicher Gedanke durch den Kopf, dass ichdie beiden Alten schon tot und im Sezierraum sah, wie es wohl oft in den Zeiten des Chirurgen gewesen sein musste.
    »Schau dir nur dieses heulende Milchgesicht an!«, rief mein Onkel. »Sieh dir das Kleinkind an! Das ist der Herr, von dem die Leute sagen, dass er niemandes Feind ist, nur sein eigener. Das ist der Herr, der bei seinen Geschäften so große Gewinne macht, dass er sich neulich einen Partner nehmen musste. Das ist der Herr, der eine Frau ohne einen einzigen Penny heiraten wird und der in die Hände schamloser Weiber fällt, die nur auf meinen Tod spekulieren!«
    Nun wusste ich, wie groß der Zorn meines Onkels war; denn nur ein Zustand, in dem er beinahe außer sich war, konnte ihn dazu veranlassen, jenes vorletzte Wort in den Mund zu nehmen, vor dem er einen solchen Abscheu hegte, dass er es sonst unter gar keinen Umständen aussprach oder auch nur andeutete.
    »Auf meinen Tod«, wiederholte er, als wolle er mir trotzen, indem er seinem eigenen Abscheu vor dem Wort trotzte. »Auf meinen Tod – Tod – Tod! Aber diese Pläne werde ich durchkreuzen. Iss deine letzte Mahlzeit unter diesem Dach, du schwacher Wicht, und möge sie dir im Halse steckenbleiben!«
    Ihr könnt getrost annehmen,

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