Der schwarze Thron - Reiter reiter3
er drückte seine Wange so fest dagegen, als lausche er auf einen Herzschlag, aber natürlich hörte er nichts. Am Morgen wollte er ausreiten, um den Wall und die Bresche zu inspizieren. Seit dem einen Mal hatte er die Augen im Wall nicht mehr gesehen, obwohl er sich immer beobachtet fühlte und meinte, dass rings um ihn herum knapp unterhalb seiner Hörfähigkeit Gespräche stattfanden. Vielleicht beobachteten ihn die Augen, wenn er gerade nicht hinsah.
Er sah über die Baumwipfel zum Himmel hinauf, und dort oben schimmerte der grüne Schein des Nordlichts. Alton fragte sich, ob die Götter vielleicht eine Botschaft sandten, und obwohl die Lehren des Landes die Nordlichter in vielen unterschiedlichen Weisen auslegten, von reicher Beute beim Fischfang bis hin zu einem langen, harten Winter, sprachen die Götter nicht zu ihm.
In der Stille fielen Alton allmählich die Augen zu. Er bewegte sich nicht, er sah keinen Grund dafür, und er stellte sich vor, dass er sich in Stein verwandelte, in eine Statue aus Granit, in ein Denkmal von jemandem, der sich bemüht hatte und gescheitert war.
Dort schlief er ein, an den Turmwall gelehnt, das Gesicht seitlich an den Granit gepresst. Wäre er wach gewesen, hätte er vielleicht einen Schimmer auf dem Wall gesehen, der den Nordlichtern antwortete: eine grüne Aura, die um ihn herum aufglühte und innerhalb eines Atemzugs wieder verblasst war.
Doch in den tiefsten Tiefen seines Gemüts hörte er einen Herzschlag – seinen eigenen Rhythmus, zusammen mit dem des Walles.
FLUCHT UND VERFOLGUNG
Estora wollte sich nie mehr im Leben über ihr Schicksal beklagen. Falls man es ihr erlauben würde weiterzuleben, hieß das. Von ihr aus konnte ihr Vater oder der König oder sonst irgendjemand – ihr war das völlig egal – sie in der Burg einsperren und den Schlüssel in den Burggraben werfen. Sie würde sich nicht beklagen. Mehr noch: Falls sie heil in die Stadt Sacor zurückkehrte, würde sie ihrem Vater gehorchen, sie würde den König ohne jede Widerrede heiraten, und sie würde vor lauter Dankbarkeit in der Kapelle eine Extrakerze für die Götter anzünden.
Sie wurde von vier Banditen begleitet. Einer von ihnen ritt gewöhnlich voraus, um den Weg auszukundschaften, zwei ritten mit ihr – einer vor ihr und einer hinter ihr, und der vierte blieb ein Stück zurück, um etwaige Verfolger zu entdecken. Ihre Hände waren vor ihren Körper gefesselt, und ihre Finger waren taub und angeschwollen. Die Entführer sprengten mit grausamer Geschwindigkeit dahin und ritten nur langsamer, wenn die Pferde nicht mehr konnten. Sie war noch nie so lang und so brutal geritten.
Sie hatte die Tage nicht mehr gezählt seit jenem schrecklichen Augenblick, als die Rabenmaske aus dem Nebel aufgetaucht war und sie fortgeschleppt hatte, doch dann war er vor ihren Augen vom Anführer der Grobiane umgebracht worden. Dieser hatte daraufhin nach Falans Zügel gegriffen
und geschworen, dass er ihr sehr wehtun würde, wenn sie Widerstand leistete. Als sie den Mund geöffnet hatte, um zu schreien, hatte er ihr ins Gesicht geschlagen. Sie hatte ihre Reitpeitsche gehoben, um ihm einen Hieb zu versetzen, aber er hatte sie ihr aus der Hand gerissen und in zwei Teile zerbrochen.
Ihre Augen waren noch immer halb zugeschwollen, aber der Schlag hatte nicht so geschmerzt wie das Geräusch der Armbrustbolzen, die in den Nebel zischten, gefolgt von den Schreien ihres Gefolges. Ob es ihren geliebten Schwestern gut ging? Und Lord Henley? Was war mit Fastion, dem treuen Waffenträger? Und Lord Amberhill? Hatte auch nur einer von ihnen überlebt?
Jedes Mal, wenn sie daran dachte, was das für ein Massaker gewesen sein musste, drohten ihr wieder die Tränen über die Wangen zu strömen, aber sie war entschlossen, ihnen nicht nachzugeben. Egal, wie sehr sie sich danach sehnte, all den Gefühlen freien Lauf zu lassen, die sich in ihr aufgestaut hatten – sie wagte es nicht, ihren Entführern ihre Schwäche zu zeigen, und sie durfte sich nicht selbst schwächen.
Und so ritt sie weiter, durch Wälder, über Wildpfade und durch trockene Bachbetten und unter den Zweigen der weißen Riesenkiefern hindurch. Früher hätte sie die Gegend wunderschön und sehr angenehm gefunden, doch nun sah sie nur die stumpfen Farbtöne des nahenden Winters, die Rost- und Brauntöne, die sterbenden Pflanzen, und vor dem Himmel kreuzten sich die Äste wie ein fesselndes Netz.
Sie wusste, dass sie nach Westen ritten, denn sie folgten der
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