Der schwarze Thron - Reiter reiter3
einstürzen und das Böse freilassen würde, welches er so lange ferngehalten hatte. Aber der Wall gab seine Geheimnisse nicht so einfach preis.
»Das sollte genügen«, sagte Leese und schnitt den Rest des Verbands ab, den sie um Altons Hand geschlungen hatte. Dann fügte sie in einem Ton, der gleichzeitig unbeschwert
und spitz war, hinzu: »Ich verlasse mich darauf, dass Ihr nicht als Nächstes Euren Kopf gegen den Wall rammt.«
Alton warf einen Blick auf beide Hände, die nun fest verbunden waren, und verzog das Gesicht. »Danke.«
Die Heilerin seufzte und griff nach ihren Utensilien. »Wenn Ihr mich wieder braucht, wisst Ihr ja, wo Ihr mich finden könnt.«
Alton nickte und sah ihr hinterher, als sie in ihr Zelt ging. Sie war zu diesem zweiten Lager am Himmelsturm gezogen, nachdem er einmal zu oft gegen den Wall angetobt hatte. Beim ersten Mal hatte er sich eine Zehe gebrochen. Diesmal hatte er sich die Hände blutig geschlagen, aber obwohl er mit gedankenloser Wut zugeschlagen hatte, war nichts gebrochen, was wohl eine gute Sache darstellte.
Seine Anfälle wurzelten in Frustration; Wutanfälle, wie er sie nie zuvor an den Tag gelegt hatte. Es war ein paar Monate her, seit er das letzte Mal im Turm gestanden hatte, einem von zehn Türmen, die über die Weite des Walls verteilt waren. In diesen Türmen hatten einmal die Hüter gelebt, die Vorfahren seines Clans, die über den Zustand des Walls und über den Feind dahinter wachten. Nur zu genau erinnerte Alton sich an den schicksalhaften Tag, als er mit den anderen Grünen Reitern den Turm verlassen hatte, ohne zu wissen, dass er nicht wieder eingelassen würde, wenn er es das nächste Mal versuchen würde.
Er war nach Waldheim gezogen, um seinem Vater, dem Lordstatthalter der Provinz D’Yer, Bericht zu erstatten. Der König hatte rasch Befehle nach Waldheim geschickt, dass Alton zum Turm zurückkehren und über den Wall so viel wie möglich in Erfahrung bringen solle, indem er mit Merdigen sprach, einer magischen Präsenz, die sich im Turm aufhielt.
Die Befehle waren nur Formsache. Alton hatte vorgehabt, notfalls auch ohne sie zum Wall zurückzukehren. Das Bauwerk ließ ihn nicht los, drang in seine Träume ein und beherrschte sein waches Leben. Sie mussten unbedingt sofort die Bresche schließen, die ihn schwächte, mussten den Wall verstärken. Sofort, bevor Mornhavon der Schwarze wieder im Schwarzschleierwald erschien.
Nur dass der Wall ihn nicht durchlassen wollte. Egal, was er versuchte, egal, wie er die Hüter anflehte, die im Wall lebten, sie verweigerten ihm ihre Hilfe. Und das war es, was zu den Wutanfällen führte.
Der Turm hatte ihn und die anderen Reiter schon zuvor eingelassen. Warum weigerte er sich jetzt?
Er wusste, dass die Soldaten, selbst die im Hauptlager nahe der Bresche, über ihn tratschten, über seine Besessenheit. Hatte er den Verstand verloren wie sein Vetter Pendric, der sich nun als Hüter im Wall befand?
Der Schatten des Walls verschluckte sein Lager und den Wald, und bald würde alles in Dunkelheit versinken. Jetzt, im Herbst, wurden die hellen Stunden immer weniger, und Alton hatte das Gefühl, dass ihm keine Zeit mehr blieb. Niemand wusste, wie weit in die Zukunft Karigan Mornhavon den Schwarzen gebracht hatte. Niemand wusste, wann seine Zeit sich mit ihrer vermischen und seine Präsenz die Welt aufs Neue gefährden würde. Deshalb musste Alton jetzt Antworten finden. Er musste die Zeit nutzen, die Karigan ihm verschafft hatte, ihm und allen anderen.
Bevor die Gedanken an Karigan ihn noch mehr durcheinanderbringen konnten, vertrieb er sie – nicht ohne Anstrengung – und fuhr mit den Fingerspitzen über die Konturen der Steine des Walls.
»Ich werde es verstehen«, versprach er dem Wall. »Ich
werde den Turm betreten, und ich werde es verstehen, und nichts kann mich zurückhalten.«
Manchmal überfiel das Fieber Alton während der Nacht wie eine plötzliche Sturmbö, wenn die Überreste des Giftes seinen Körper weiter verwüsteten. Leese nahm an, dass das Gift irgendwann aufgebraucht und er wieder normal sein würde. Alton selbst glaubte das nicht so recht. Er hatte sich nicht genug Zeit gelassen, um nach seinen Problemen im Schwarzschleier wieder zu heilen, und jetzt wand er sich auf seinem Bett, und der dunkle Wald suchte seine Träume heim. Kränklich schwarze Äste kamen aus dem allgegenwärtigen, sich stets wandelnden Nebel und stachen auf ihn ein. Er hörte die Geräusche von Geschöpfen, die ihn
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