Der schwarze Thron - Reiter reiter3
und dann umgab sie nur noch Wärme, und Wärme erfüllte sie.
Karigan erwachte mit einem Stöhnen und stellte fest, dass sie ihr Kissen umarmte. Sie wünschte sich, der Traum wäre
Wirklichkeit, aber das war er nicht. Tatsächlich war ihr zu warm, und sie ließ das Kissen los und schob die Steppdecke zurück. Erst jetzt erkannte sie, dass sie nicht allein war.
»Schsch«, sagte eine Frauenstimme im Dunkeln. »Wir haben Euch schreien hören.«
Als Karigans Augen sich anpassten, konnte sie eine schlanke Frau am Fußende ihres Betts sehen, die ein durchscheinendes Hemd trug, das die Umrisse ihres Körpers erahnen ließ. In der Tür standen zwei andere und spähten hinein, und das Lampenlicht des Flurs glitzerte in ihren Augen.
»Wer seid Ihr?«, fragte Karigan und zog die Steppdecke wieder bis zum Kinn.
»Trudy. Ich arbeite hier.« Sie setzte sich neben Karigan auf die Bettkante. »Geht es Euch besser?«
»Ja, gut, danke. Ich werde jetzt noch ein bisschen schlafen.«
»Möchtet Ihr Gesellschaft?«
»Möchte ich was?«
»Ich könnte Euch warm halten.«
Dann endlich begriff Karigan – das luxuriöse Gasthaus, Silvas Eleganz, die Geräusche, die aus den anliegenden Räumen kamen und die sie jetzt langsam erkannte … der Fährmeister hatte sie in ein Bordell gebracht.
»N-nein danke«, stotterte sie und war von einem beinahe überwältigenden Bedürfnis erfüllt, sich die Decke über den Kopf zu ziehen. »Mir ist warm genug.«
»Tatsächlich«, sagte die Frau leise.
»Sie hat kein Interesse, Trudy«, sagte eine der Frauen in der Tür.
»Wenn Ihr es Euch anders überlegt, ich bin in Zimmer zwölf.« Trudy stand auf, ging zusammen mit den anderen Frauen und schloss die Tür hinter sich.
Ein Bordell! Nun, das erklärte einen Teil des Traums, der
nun langsam von ihr abfiel, obwohl die heftige Sehnsucht erhalten blieb.
Wenn ihre Tanten und ihr Vater je davon hören sollten, würden sie schockiert sein. Man übernachtete nicht in Bordellen. Man kam Bordellen nicht einmal nahe. So lauteten zumindest die Gesetze, die ihre Tanten verhängt hatten. Tante Stace würde einen Herzinfarkt bekommen, wenn sie es herausfände!
Und man hatte Karigan tatsächlich einen Antrag gemacht. Nun zog sie sich wirklich die Steppdecke über den Kopf. »Gesellschaft« würde sie wirklich wärmen, aber die einzige »Gesellschaft«, die sie wollte, war ein Mann, der meilenweit entfernt in einer Burg lebte, ein Mann, der nie der ihre werden würde.
Sie schlief wieder ein und wünschte sich aus irgendeinem Grund, es wäre Sommer.
Am Morgen kam Rona zu Karigan, eine Matrone im Großmutteralter und offensichtlich keine der »Damen«, die die Kunden des Bordells bedienten, zerrte einen kleinen Badezuber ins Zimmer und füllte ihn mit dampfendem Wasser aus einem Kessel.
»Ihr nehmt ein Bad wie ein braves Mädchen«, sagte sie, »und dann kommt runter zum Frühstück. Ich lasse Euch jetzt allein.«
Nachdem die Tür sich hinter Rona geschlossen hatte, setzte sich Karigan mit einem Seufzer in den Zuber. Sie kam zu dem Schluss, dass sie so bald wie möglich eine andere Unterkunft finden musste. Es machte sich nicht gut, wenn ein Diener des Königs Zeit in einem Bordell verbrachte – ganz gleich, wie gepflegt das Haus war und warum sie sich dort aufhielt. Es war einfach unangemessen.
Ihre Tanten wären zweifellos der gleichen Ansicht. Sie erinnerte sich, sie beim Einkauf in ein Geschäft begleitet zu haben, das in derselben Straße lag wie ein paar Bordelle. Karigan war noch klein gewesen und hatte nicht gewusst, was das für Häuser waren. Ihre Tanten hatten sie fest an den Händen gehalten, und als sie ihre Bewunderung für die »hübschen Damen« geäußert hatte, hatte Tante Stace ihr eine Ohrfeige gegeben und erklärt, wovon diese »hübschen Damen« lebten.
Karigan hatte noch nie zuvor eine Ohrfeige bekommen, und selbst jetzt berührte sie die Wange, als brenne sie nach all diesen Jahren noch immer. Sie war entsetzt gewesen über die Dinge, die ihre Tanten ihr erzählt hatten. Wie konnte eine Frau ihr Kostbarstes – ihren Körper, ihr Sein – einfach verkaufen?
Für ihre Tanten war das unmoralisch. Sie waren beide, wie auch Karigans Vater, auf der Schwarzen Insel aufgewachsen, wo es keine Bordelle gab, nur eine eng verbundene Gemeinschaft, die die Götter mit schwerer Arbeit ehrten und alles für die Familie taten. Außerhalb der strengen Regeln der Inselbewohner, was richtig und falsch war, gab es keinerlei Toleranz –
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