Der schwarze Wikinger: Roman (German Edition)
flog die Tür auf. Wie er in die Kammer trat, gewichtig, als gäbe es nur ihn auf der Welt, erinnerte er sie an Njal. Sichtbarer Hochmut schien wohl zu jedem Wikinger zu gehören. Caitlín richtete sich auf. Thorir ließ den Blick über sie und die offenen Truhen schweifen und lächelte belustigt.
»Eine wahrhaft schöne Sklavin bist du. Hoffentlich entscheidet mein Vater richtig.« Er ließ seinen Umhang fallen und setzte sich auf die Bettkante. »Zieh mir die Stiefel aus.«
Sie gehorchte, vor Empörung zitternd. Sein Atem stank sauer nach Ale, nach viel zu viel Ale. Er störte sich nicht daran, dass der Schneematsch seiner Schuhe das kostbare, mit Goldstickereien verzierte Seidenkleid ruinierte und die Sohle den eng anliegenden Stoff aufriss. Sofort glitt Thorirs Hand in den Riss und legte sich auf die Innenseite ihres Oberschenkels. Mit einem Aufschrei sprang Caitlín zurück.
»Das Kleid stammt von einer byzantinischen Edeldame«, begann er unvermittelt. »Sie nächtigte in einem Kloster – wie du es getan hast. Mit dem Dolch an ihrer Kehle habe ich sie gezwungen, es herzugeben. Bei Thor, was war sie schön in ihrer Blöße … Das war in Wessex, während meiner ersten Wikingfahrt. Wir schafften es mit unserem Drachenboot bis nach London. Eine großartige Stadt ist das, mit verfallenen Häusern aus der Römerzeit. Weißt du, wer die Römer waren?«
Sie nickte mit zusammengepressten Lippen. An einer Unterhaltung mit ihm war ihr nicht gelegen.
Er ließ sich auf die Bettstatt fallen und verschränkte die Arme über seinem Kopf. »Keine Ahnung, was eine Frau aus Byzanz im regnerischen und ewig schlammigen England wollte … Es gibt Wikinger, die gelangen tatsächlich bis nach Konstantinopel. Wenn ich Herse bin, werde auch ich dorthin segeln. Aber vorher baue ich mir ein Schiff, das größer und schöner als die Sleipnir ist. Ein Schiff, so gewaltig wie König Tryggvassons Lange Schlange . Mein Hort ist groß genug.«
Er musste wahrlich betrunken sein, so redselig, wie er war, und seinem Alegestank nach zu urteilen. Caitlín wich zurück, hockte sich auf eine der Truhen und sah zu, wie sich Thorir entkleidete und dabei murmelte und brummte, sich am Bart und im Schritt kratzte. Seine Lage musste genau wie die ihre verfahren sein: Der, den er gemordet geglaubt hatte, war wieder unter die Lebenden zurückgekehrt. Der Verhasste. Der Konkurrent auf den Thronstuhl des Vaters. Tatsächlich wanderten Thorirs Gedanken jetzt zu seinem Bruder: »Schwarzer Bastard!«, zischte er, warf sich herum – und schlief ein.
Sein Schnarchen war ohrenbetäubend. Caitlín zerrte das Kleid herunter und raffte seine Sachen auf. Allzu leise musste sie dabei nicht vorgehen, denn er machte nicht den Eindruck, als könne ihn in diesem Zustand noch irgendetwas wecken. Sie stieg in seine Beinkleider, schnürte sie um die Mitte und schlug die Enden hoch. Seine Stiefel waren zu groß, aber die langen Bänder an ihnen, mit denen die Männer ihre Unterschenkel umwickelten, kamen ihr zupass. Sie schnürte die Schäfte, so fest sie konnte. Dann schlüpfte sie in das wollene Hemd, schlang sich den Gürtel um und bauschte es darüber, damit es nicht bis an die Waden reichte. Am Gürtel hing ein Messer in einer Scheide; damit kürzte sie den Umhang. Das Geräusch, als sie den Streifen abriss, war entsetzlich laut, doch Thorir schnarchte unbeeindruckt weiter. Mit dem Streifen band sie die Haare im Nacken zusammen und umwickelte ihren Kopf, damit man möglichst wenig des irischen Rots sah.
Sie sprach ein schnelles Paternoster, dann atmete sie tief ein und öffnete die Tür.
Jetzt galt es, sich leise und unauffällig zu verhalten. Mit den Stiefeln brauchte Caitlín eine Ewigkeit, um die Stufen hinabzusteigen, ohne dass sie unter ihren Schritten knarrten. Im Erdgeschoss gab es einen kleinen Vorraum, in dem Fässer standen – offenbar Thorirs Alevorrat. Caitlín entriegelte vorsichtig die Außentür und steckte den Kopf hinaus.
Sie hatte sich umsonst gesorgt, dass jemand Wache stehen würde oder der Dorfplatz noch belebt von nächtlichen Zechern sein könnte. Niemand war zu sehen. Der Nachthimmel war heller als in ihrer Heimat, also duckte sie sich tief in die Schatten der Hauswände. Am Tage hatte sie gesehen, wo sich der Reitstall befand, zu dem sie jetzt der durchdringende Geruch nach Pferdeäpfeln und Stroh leitete.
Das Stalltor war mit zwei dicken Latten verschlossen. Sie stiefelte um das hölzerne Gebäude herum und fand eine Seitentür, die
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