Der schwarze Wikinger: Roman (German Edition)
heißt Thrymheimr – wie einer der Götterpaläste in Asgard. Weißt du, was der Name bedeutet?«
Caitlín überlegte kurz. »Lautes Heim?«
»Genau! Die Leute hier sind alle ungezügelt und nicht gerade von der leisen Sorte, aber das wirst du schon noch merken.«
Als ob ich das nicht schon hätte , dachte Caitlín.
»In diesem Haus leben drei Familien mit ihren Sklaven«, fuhr Edana fort. »Die des Hersen und die der höchstrangigen Bonden, das sind die wohlhabenden Bauern. Der Vater von Sif ist auch so ein reicher Bonde – allerdings wohnt er in Suttung, das ist ein Fischerdorf südwestlich von hier. Eirik Grímisson herrscht über die Dörfer im weiten Umkreis. Man muss einige Tage reiten, um in das Gebiet eines anderen Hersen zu gelangen, und über die Hersen herrschen wiederum die Jarle und der König. Zumindest versuchen sie es – in einem weitläufigen, zerklüfteten Land wie diesem ist das nicht leicht. Und die Nordleute – nun, Sturköpfe und Ochsen sind das! Aber auch das wirst du noch feststellen.«
»Das habe ich bereits«, antwortete Caitlı´n trocken.
»Soso.« Edana grinste. »Ich bin übrigens auch die Köchin. Und das nicht etwa, weil mein Essen so gut schmeckt, was es durchaus tut, sondern weil ich es leicht aushalten kann, wenn der Herse oder die Herrin mit mir schimpft. Eine Zeit lang sollte eine andere Sklavin kochen, aber sie ist irgendwann heulend weggelaufen. Man hat ihr dann die Füße zusammengebunden und sie zu den Schweinen gesperrt. Ist dir kalt? Dann leg dich ins Bett.«
Edana verschwand und schloss die Tür. Caitlín dachte nicht daran, sich ins Bett zu legen und wie ein Lamm auf der Schlachtbank auf ihre Hinrichtung zu warten.
Trau niemals einem Wikinger. Noch im Sterben würde er dir das Ohr abbeißen, um an die Silbermünze dahinter zu gelangen . Wer hatte das gesagt? Ihre Mutter vielleicht? Oder einer der Bediensteten? Viele Leute waren dieser Meinung. Es war ein entsetzlicher Fehler gewesen, einen Wikinger zu bitten, sie in ein unbekanntes Land mitzunehmen.
Aber das bedeutete ja nicht, dass sie diesem Fehler einen zweiten folgen lassen musste, indem sie hierblieb.
An den Wänden reihten sich Truhen unterschiedlicher Größe. Caitlín hob einen schweren Deckel. Staunend riss sie die Augen auf: bestickte Tücher, Schmuck aus Silber und Bernstein und eine edelsteinverzierte goldene Dose. Ohne zu überlegen, öffnete sie das Gefäß, schloss es aber hastig wieder, als sie die Krümel darin entdeckte, und schlug ein Kreuz. Es war eine Pyxis, ein Gefäß, in dem man Hostien aufbewahrt hatte. Der barbarische Heide hatte wirklich vor nichts zurückgeschreckt! Auch der große Foliant, eine Bibel, stammte aus einer Abtei, vielleicht ja aus jener, in der Caitlín zu Gast gewesen war.
In der nächsten Truhe fand sie seidene und so fein gewebte Stoffe, dass man beim Berühren glaubte, in weichen Nebel zu fassen. Sie ließ Patricks Umhang von den Schultern gleiten und vergrub ihre Hände in der Pracht auf der vergeblichen Suche nach einem brauchbaren Kleid aus dichtgewebter Wolle, das sie vor Kälte und lüsternen Blicken schützen würde. Aus einer weiteren, sehr viel kleineren Truhe schlug ihr der Duft von Kräutern und Spezereien entgegen. Sie entsann sich, ihn schon beim Aufwachen wahrgenommen zu haben. In einem kleinen Säckchen fanden sich Weihrauchkörner, die bestimmt ebenfalls aus einer Kirche oder einem Kloster stammten. Manche der Säckchen waren mit orientalisch anmutenden Mustern bestickt. Ihr Inhalt war vermutlich so wertvoll wie Gold.
Unter den Säckchen entdeckte Caitlín einen schmalen Dolch in einer edelsteinbesetzten Scheide. Rubine, Achate, schimmernde Opale bildeten ein kleines Kreuz, in dessen Mitte aus Elfenbein ein Bildnis Christi eingearbeitet war, daneben standen fremdartige Schriftzeichen. Diese zierliche Waffe musste einstmals den Gürtel einer Edelfrau geziert haben. Vielleicht bewahrte Thorir sie ja als zukünftiges Hochzeitsgeschenk auf, und das Bild darauf war ihm völlig gleichgültig.
Im Erdgeschoss klappte die Tür; die Treppe knarrte unter schweren Schritten. Caitlíns Hände zuckten. Was sollte sie tun? Den Dolch an sich nehmen und kämpfen? Oder unter die Felle kriechen und so tun, als wäre sie nicht hier? Aber dort im Bett zu liegen, während er … Undenkbar! Sie wühlte noch einmal in der Kleidertruhe und förderte ein Kleidungsstück zutage, das zumindest dicht gewebt war. Gerade als sie es sich über den nackten Leib gestreift hatte,
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