Der schwarze Wikinger: Roman (German Edition)
wäre, den Mund zu halten. Dann straffte er sich und hob Schild und Schwert auf. Njal war entschlossen, die Aufsässigkeit aus Vésetis Augen zu tilgen. Man schätzte ihn, weil er gut kämpfen und die Jungen anweisen konnte. Man achtete ihn, weil er der Erstgeborene des Hersen war und von ihm geliebt wurde. Aber dass sein Vater ihn, den Sohn einer Sklavin, dem Bruder vorzog, der von Álfdis geboren worden war, der Hauptfrau und Tochter eines anderen Hersen – das wäre ein Unding. Die meisten Thrymheimer sähen lieber Thorir in Eiriks Gunst.
Immerhin bekam der Sklavensohn die schöne Sif zur Frau! Njal wusste nur zu gut, dass die Leute in Thrymheimr wie auch in Suttung darüber murrten.
Der Respekt ihm gegenüber konnte schnell umschlagen, so wie es im Farbauti geschehen war. Es konnte also nicht schaden, Véseti sofort in die Schranken zu weisen.
»Dann fang mal an damit, loszustürmen und Angst und Schrecken zu verbreiten«, forderte er den Jungen auf. Der biss vor Ärger die Zähne zusammen. Mit einem gewaltigen Schrei, der einem ausgewachsenen Krieger durchaus würdig war, stürzte er auf Njal.
Njal hob seinen Schild, wehrte den Angriff mühelos ab und schlug seinerseits so heftig auf den anderen Schild, dass dieser entzweibrach. Nur der eiserne Rand hielt die hölzernen Bretter zusammen. Véseti erschrak.
»Weiter«, schrie Njal, da der Junge tatenlos um ihn herumtänzelte. Er machte einen Schritt vor und holte mit dem Schwert aus. Als eines der Bretter aus der Eisenumrandung brach, stieß er mit der Klinge durch die Lücke und schnitt Vésetis Lederwams an der Schulter auf. Entsetzt keuchte der Junge auf und fuhr fort, sich mit planlosem Eifer zu wehren.
Njal hatte keine Mühe, ihn zu beschäftigen. Seine Gedanken schweiften ab.
Er könnte seine Stellung im Dorf durchaus verbessern, indem er jeden, der ihn auch nur schief von der Seite ansah, zum Kampf forderte. Wenn sich sein Blut bisher nach einem Kampf gesehnt hatte, war er mangels echten Gegners zur Jagd ausgeritten, und manchmal hatte es ihn auch an Deck eines der am Ufer liegenden Schiffe getrieben.
Vielleicht sollte er wieder auf Fahrt gehen. Für einen Wikinger war es ohnehin das Größte, den Wind der See im Haar zu spüren und das Salz des Meeres auf der Zunge zu schmecken. Das Auf und Ab des Decks unter den Stiefeln. Das Knarren des Drachensegels …
Ob Thorir deshalb das Dorf wieder verlassen hatte? In Kaupang wollte er einen Teil der Beute gegen Winterfleisch, Mehl, Pelze, Stoffe und andere Dinge eintauschen, denn Goldkreuze und juwelenbesetzte Altartücher konnten einen, wenn es hart auf hart kam, nicht ernähren. Vielleicht wollte er die Fahrt auch nutzen, um darüber nachzusinnen, was mit dem unverhofft zurückgekehrten Bruder geschehen sollte.
Thorir! Elender Feigling! Neiding!
»Herr, Ihr habt heute einen wirklich ordentlichen Schlag.«
»Was?« Njal ließ das Schwert sinken und trat zurück. Véseti war in die Knie gesunken. Sein Schild glich einem Trümmerhaufen, und sein Schwertarm zitterte, sodass er die Waffe kaum noch zu halten vermochte. Den Helm hatte er längst verloren.
Patrick wartete in angemessenem Abstand.
»Pause!«, rief Njal in die Runde. »Wir machen gleich weiter, also verkneift euch das Ale!«
Keuchend wankte Véseti zu den anderen Jungen. Von seiner Stirn floss der Schweiß, sein Gesicht war kalkweiß. Njal nahm den Skalden beim Ellenbogen und zog ihn zu einem umgelegten Baumstamm. Hier hockten sie sich nieder.
»Ich dachte schon, Ihr wolltet ihn umbringen«, murmelte Patrick.
Unbehaglich räusperte sich Njal. Er nahm einen Wasserbalg und trank. »Rede keinen Unsinn«, sagte er und verrieb das Wasser im erhitzten Gesicht. Die Jungen hatten sich auf einem anderen Baum niedergelassen. Während sie sich ebenso erfrischten und sich über den Kampf die Köpfe heißredeten, wagten sie nur aus den Augenwinkeln, zu den Männern herüberzuschauen.
»Wie geht es Caitlín?«, fragte er.
»Nicht anders als an jedem anderen Tag, an dem Ihr mich fragt«, erwiderte der Skalde. »Oder sollte ich sagen, zu jeder Stunde? Ich kann nicht ständig um sie sein, und selbst wenn, würde sie das nicht wollen.«
»Schon gut. Es ist nur so …« Dass ich vor Sehnsucht und Sorge kaum schlafen kann , dachte Njal, würde eine solche Schwäche jedoch niemals jemand anderem gegenüber eingestehen. Sich selbst gegenüber war es schon unerhört schwierig.
»Wie Ihr es befohlen habt, lasse ich sie kaum aus den Augen, aber sie gibt sich
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