Der schwarze Wikinger: Roman (German Edition)
litten, doch er musste glauben, dass er dazu in der Lage war. Täte er das nicht, würde er in seinem ohnmächtigen Zorn noch jemanden umbringen.
Alles wäre so einfach gewesen, hätte er Thorir nur getötet. Er schrie auf, griff in die Wandregale und riss Krüge und Töpfe herunter. Das Ale aus dem umgestürzten Fass ergoss sich auf den strohbedeckten Boden. Mit dem Gemüsemesser in der Hand schritt er in die Halle. Edana floh bei seinem Anblick, doch statt hinauszulaufen und sich auf Thorir zu stürzen, hieb er das Messer in die Armlehne des Thronstuhls.
Endlich verließ er das Langhaus. Er würde nicht warten, bis Thorir ihn holte.
Draußen hatten sich bereits die Bewohner Thrymheimrs versammelt – unter ihnen all jene, die vor seiner Raserei aus dem Haus geflüchtet waren. Frauen, Männer, Kinder und Alte starrten ihn an: Sein Oberkörper war entblößt, seine Fäuste geballt, sein Blick lodernd. Er ging durch die Gasse, die sie ihm bereiteten, auf Thorir zu. Der stand mit Haukr dem Schmied dort, wo die Trockengestelle für gegerbte Felle und Fleisch standen.
Zwischen ihnen erhoben sich unauffällig die Strafpfähle.
Es war ungewöhnlich still. Njal hörte einige Leute sich schneuzen und ein paar Kinder greinen. Er vermied es, in ihre Gesichter zu sehen. Sie waren allesamt Schafe, die sich dem Wolf unterwarfen, und der hieß Thorir.
Thorir musste seine Stimme nicht erheben. »Du hast mich, deinen Herrn, niedergeschlagen. Darauf stehen harte Strafen.« Er deutete auf einen Hackklotz. »Hast du je von einem Sklaven gehört, dem man nach einer solchen Tat nicht die Hände abgehackt hat?«
Njal hielt den Atem an. Wahrhaftig, Haukr hielt eine Axt in der schwieligen Hand. Wollte Thorir allen Ernstes so weit gehen?
»Du könntest dich darauf besinnen, würdevoll zu handeln, und mir stattdessen das Schwert ins Herz stoßen«, erwiderte er kalt. »Ich werde mich nicht wehren.«
»Würde?«, rief Thorir. Sein Gesicht war gerötet, sein Haar und sein Bart waren nass und strähnig. Offenbar hatte er sich einen Eimer Wasser aus dem Brunnen gezogen und über den Kopf gegossen, um das klebrige Ale loszuwerden. »Ein Sklave spricht von Würde? Haukr …«, wandte er sich an den Schmied.
»Nein!«
Caitlín stürzte aus der Menschenmenge und warf sich Njal in die Arme. Überrascht drückte er sie an sich und schüttelte den Kopf.
»Geh wieder«, sagte er leise. »Du kannst nichts tun.«
»Nein«, heulte sie. Tränen strömten über ihr sommersprossiges Gesicht. »Das werde ich nicht zulassen.« Sie wirbelte herum, als wolle sie ihn mit ihrem Körper schützen. »Nein!« Ihre Stimme war tief, schrecklich, ging ihm durch Mark und Bein. Er fasste sie an den Schultern, wollte sie zurück in den Schutz der Menge schieben. Doch sie riss sich los und rannte auf Thorir zu. Der war so verblüfft, dass er nicht reagierte, als sie nach ihm schlug. »Tu das nicht! Wage es ja nicht! Du Hund!«
Pures Entsetzen zwang sie dazu, so zu handeln. Erleichtert entdeckte Njal den Skalden ganz in der Nähe. Er musste nur eine Hand heben, und Patrick eilte auf Caitlín zu, die in die Knie zu gehen drohte, umschlang sie und redete begütigend auf sie ein. Es gelang ihm, sie mit sich zu zerren. Geduckt und wankend, die Hände vors Gesicht geschlagen, folgte sie ihm, und Njal atmete auf, als die Menge sie verschluckt hatte.
Er schritt auf Haukr zu und blieb vor ihm stehen. Der Schmied, obschon nicht klein gewachsen, musste zu ihm aufsehen.
Nicht einmal einen Zweikampf kann ich Thorir stattdessen anbieten , dachte Njal. Den hatten wir schon .
Vor dem Hackklotz ging er in die Knie und legte die linke Hand darauf. Vielleicht würde sich Thorir damit begnügen, dann hätte er die rechte noch – schließlich wollte er ein Schiff von ihm.
Übelkeit übermannte ihn. Haukr nahm die Axt in beide Hände. Das Axtblatt schwebte vor Njals Augen.
Sein Herz schlug wie eine Kriegstrommel. In seinem Nacken sammelte sich der Schweiß und lief als kalter Bach zwischen seinen Schulterblättern hinunter. Dass er hier kniete und kampflos seine Hand einbüßte, hätte er sich nie träumen lassen. Die Situation kam ihm vor wie ein Traum, wie einer von Caitlíns häufigen und wilden Träumen. Denn geschähe dies wirklich, so würde er doch aufspringen, eine Waffe an sich reißen und zum Berserker werden, oder etwa nicht?
Aber wem nützte schon ein Blutbad?
Ein Raunen ging durch die Menge. »Das kannst du nicht tun, Thorir Eiriksson«, hörte er jemanden
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