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Der Schwefelfluss

Der Schwefelfluss

Titel: Der Schwefelfluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Haensel
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wie sie Tradition waren in Ugalien. Der winzige Kopf mit dem runzligen Trollgesicht wurde von dem Magierhut fast völlig verdeckt. Kleine, kalte Augen mit stechendem Blick sahen sich nach allen Seiten hin um.
    Dann erst trat der nicht ganz fünf Fuß große, schmächtige Mann ins Freie hinaus. Das bodenlange Gewand, das er trug, war in düsterem Grauton gehalten, der weite, versteifte Umhang darüber in Purpur.
    Es war wohl der weiße, wallende Bart, der diesem Wesen die Würde verlieh, die es ausstrahlte. Desgleichen das ebenfalls weiße Haupthaar, das unter dem Umhang hervorquoll und bis weit über die Schultern fiel. Alles andere an dem Mann wirkte ernst, beinahe finster. Ihn nicht zum Freund zu haben hieß, ihn fürchten zu müssen. Und er war gefürchtet!
    Er schien zu schweben, als er sich über den grasüberwucherten Boden bewegte. In Wirklichkeit erweckte nur das graue Gewand diesen Eindruck, weil es auch seine Füße verhüllte. Ein alter Mann, siebzig Jahre vielleicht, aber noch immer von aufrechter Haltung, die von Stolz und Überlegenheit zeugte.
    Sein Weg führte ihn in belebtere Gassen. Er hörte die Bürger von Ugalos schreien, sah sie ziellos durcheinanderlaufen und ihre Götter anrufen. Aber alle verstummten, sobald sie ihn erkannten.
    Vassander bemerkte die scheuen Blicke wohl, die man ihm zuwarf, doch ging er achtlos darüber hinweg. Selbst die gelben Dämpfe, die aus den Kanälen aufstiegen, rührten ihn nicht. Ungeachtet der glitschigen Schicht, die sich auf Steinen und Holzbohlen bildete, »schwebte« er über Dutzende von Brücken, bis er die Insel des gemeinen Volkes endlich hinter sich gelassen hatte.
    Jetzt lagen die Paläste des Adels vor ihm, eingebettet in verschwenderisch angelegte Prachtgärten. Aber auch hier hingen giftige Nebelschwaden in der Luft, die selbst der auffrischende Wind nicht zerstreuen konnte.
    Endlich hatte Vassander die östlichste Insel am oberen Flusslauf erreicht. Ein Gefühl sagte ihm, dass der L'umeyn Mormand de Arrival Visond bald seines Rates bedurfte. Deshalb beschleunigte er seinen Schritt in Richtung des Sonnenpalastes.
    Aber das prachtvolle Gebäude, das an Schönheit und Prunk alles übertraf, was die Nachbarländer Ugaliens aufzuweisen hatten, wirkte heute trist. Nicht ein einziger Sonnenstrahl brachte den weißen Marmor zum Leuchten, der eigens aus den Steinbrüchen des Karsh-Landes herbeigeschafft worden war.
    Unheilvoll lag der Nebel über den Mauern und Zinnen. Kein Vogel sang sein Lied in den frühen Morgenhimmel, kein Schmetterling flatterte von Blüte zu Blüte. Die Blumen öffneten sich nicht und ließen die Köpfe hängen. Büsche und Bäume in unmittelbarer Nähe der Wasserläufe rollten die Blätter ein, nachdem diese ihr saftiges Grün verloren hatten und von den Rändern aus braun wurden und langsam zerfielen.
    Noch bemerkte es niemand, aber der Tod griff bereits nach Ugalos.
    *
    Mit einer jähzornigen Bewegung fegte er den leeren Becher vom Podest, der über den kunstvollen Teppich rollte und dann laut klappernd die vielen Stufen in die Vorhalle hinabfiel. Fast sofort erschien ein dienstbarer Geist, wohl anzusehen mit den üppigen Rundungen, und hob den Becher auf.
    »Bring ihn mir gefüllt zurück!« rief der L'umeyn und blickte der Frau sinnend nach.
    Ihr Name war ihm entfallen, aber er glaubte, dass einer von den Dutzenden von Bastarden, die seinen Palast bevölkerten, von ihr stammte. Vor etlichen Jahren hatte er das Vergnügen gehabt, mit ihr sein Gemach zu teilen. Das war lange her, fand er. Viel zu lange. In einer der kommenden Nächte würde er dies ändern müssen.
    Der L'umeyn aus dem Geschlecht der Arrival, einer alteingesessenen Adelsfamilie in der Grafschaft Visond, konnte darüber sogar die drohende Gefahr der Caer vergessen, die in Tainnia und wer weiß wo sonst noch eingefallen waren. Selbst die Warnungen der Magier wurden bedeutungslos gegenüber der Leidenschaft einer schönen Frau. Weshalb sollte er nicht gelassen abwarten, beabsichtigte er doch, Graf Corian mit dem Feldzug gegen die Caer zu betrauen.
    Die Frau kam wieder und brachte ihm einen randvoll gefüllten Becher, in dem es goldgelb funkelte. Sie wollte sich sofort entfernen, aber der L'umeyn hielt sie am Handgelenk fest.
    »Bleib!« sagte er. »Und nenne mir deinen Namen.«
    »Julienne.«
    Er nickte zufrieden. »Du wirkst auf mich wie die Eislese in meinem Becher. Trink, Mädchen, es ist ein vorzüglicher Wein.«
    Sie bedankte sich mit einer grazilen

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