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Der Schweizversteher

Der Schweizversteher

Titel: Der Schweizversteher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diccon Bewes
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hatte, Englisch in den Schulen Vorrang vor Französisch einzuräumen
– mit der Begründung, dies wäre für die Kinder später doch viel nützlicher.
    Das Problem ist, dass die Schweizer zwar andere
Nationalsprachen in der Schule lernen, im Alltag aber nur ihre eigene brauchen,
wenn sie nicht für die Regierung arbeiten oder in einen anderen Landesteil
umziehen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Deutschschweizer nicht wirklich
Deutsch sprechen, zumindest nicht das Deutsch, das in Deutschland gesprochen
wird. Ihr Schwyzerdütsch umfasst alle möglichen Dialekte, die in den
verschiedenen Gegenden der Schweiz zu Hause sind. Dabei handelt es sich
vorwiegend um gesprochene Sprache, in Schriftform sieht man es erst seit
Kurzem. Bücher, Zeitungen und Zeitschriften werden in Hochdeutsch gedruckt
(oder Schriftdeutsch, wie man in der Schweiz gern sagt). Selbst im Fernsehen
wird scharf unterschieden: Die landesweiten Hauptnachrichten werden auf
Hochdeutsch verlesen, Lokalnachrichten und Wetter auf Schwyzerdütsch. Im
Allgemeinen sprechen die meisten Schweizer lieber Schwyzerdütsch als die
offiziellere Sprache aus dem Norden. Und wie klingt der Unterschied in fremden
Ohren?
    Schwyzerdütsch ist melodischer und gleichzeitig
gutturaler, auch gehört immer mal wieder ein französisches Wort wie poulet , trottoir und velo dazu. Die Krönung dieser französisch-deutschen
Mischung ist das in der Schweiz übliche Dankeschön: merci
vielmal .
    Doch die französisch- und italienischsprachigen
Schweizer Kinder lernen nicht Dialekt, sondern Hochdeutsch, was bei ihren
Deutschschweizer Landsleuten gar nicht gut ankommt. Natürlich ist es auch wenig
hilfreich, dass die meisten Frankoschweizer offenbar nach dem Ende der
Schulzeit jedes deutsche Wort vergessen haben. In den französischsprachigen
Kantonen sprechen die Einheimischen oft so stur ausschließlich Französisch wie
in Frankreich selbst, und wenn sie endlich doch gnädigerweise in eine andere
Sprache wechseln, dann eher ins Englische. In bestimmter Hinsicht hat das
Eindringen des Englischen in den Alltag, wo es oft die einzige gemeinsame
Sprache ist, die Schweizer Sprachengräben noch vertieft. Statt so vielsprachig
zu sein wie erwartet, sprechen manche Schweizer jetzt ausschließlich ihre
Muttersprache (egal ob Deutsch, Französisch oder Italienisch) sowie Englisch.
Und etliche beherrschen nur Erstere, ganz wie die Einwohner der meisten anderen
Länder auch.
    Für die Deutschschweizer sind die Dialekte des
Schwyzerdütschen ein bestimmendes Merkmal ihrer Nationalität, das sie stolz und
wortgewaltig verteidigen. Da ist es höchst seltsam, dass eine der berühmtesten
Schweizer Ikonen aller Zeiten nicht die Landessprache spricht. Zwar ist sie der
viel geliebte Inbegriff alles Schweizerischen, doch da es sie zuerst in
Schriftform gab, wurde sie auf Hochdeutsch erschaffen. Dabei steht sie genauso
für ihre Heimat wie das rote Taschenmesser. Sie ist das Heidi.

Die Spitzenreiter
    Am Flughafen Zürich verbindet eine Untergrundbahn das
internationale Terminal mit dem Hauptgebäude. Kaum fährt der Zug los, setzt
Jodeln ein, es folgen klirrende Kuhglocken und tief dröhnende Alphörner, alles
aus dem Lautsprecher. Und dann erscheint sie, wie von Zauberhand,
überlebensgroß vor dem Fenster. Sie dreht den goldblond bezopften Kopf in
unsere Richtung, wirft uns ein Küsschen zu und verschwindet wieder. Natürlich
ist das nur eine Illusion, die Bilder an der Tunnelwand sind so
hintereinandergereiht, dass beim Vorbeifahren der Eindruck dieser Bewegung
entsteht. Aber es ist niedlich und geschickt gemacht und verdeutlicht, was für
eine bedeutende Rolle das Heidi als Schweizer Ikone spielt. Niemand kann ihr
diesen Rang als Kultfigur auch nur ansatzweise streitig machen. Vielleicht weil
sie eine Romanfigur ist? Die Schweizer tun sich viel leichter damit, jemanden
zu verehren, der nie gelebt hat.
    Berühmtheit gilt in der Schweiz nicht viel.
Wahrscheinlich ist das ein Grund, warum so viele Stars hier leben, auch wenn
das Steuersystem sicher ebenfalls dafür spricht. Auf den Titelseiten von
Schweizer Zeitschriften sieht man eher Prinz William oder Angelina Jolie als
einen Schweizer oder eine Schweizerin. Und Talkshows? Die gibt es praktisch
nicht, denn Schweizer Fernsehzuschauer wüssten nicht, weshalb sie sich ansehen
sollten, wie eine Berühmtheit eine andere interviewt. Zu den höchsten

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