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Der Schweizversteher

Der Schweizversteher

Titel: Der Schweizversteher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diccon Bewes
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Bewerbung absehen. Entgegen dem Volksglauben hatte Michelangelo bei den
fröhlich gestreiften Uniformen seine Hand nicht im Spiel; sie wurden nach
Angaben der Schweizergarde im 20. Jahrhundert unter Verwendung der Farben
des Hauses Medici entworfen.
    Die Schweizer hatten sich kaum an die neumodische
Neutralität gewöhnt, da kam die nächste große Idee daher – die Reformation. In
Zürich traf sie im Jahr 1519
ein. Nicht anders als im übrigen Europa riss sie das Land ebenso in zwei Teile wie
den Kanton Appenzell. Die Kluft zwischen Protestanten und Katholiken spaltet
die Schweiz bis heute und ist ein so bedeutsamer Teil der Kultur, dass sie das
nächste Kapitel für sich allein beansprucht.
    Auf diese turbulenten Zeiten folgte eine relativ ruhige
Periode, in der die Schweiz sich aus allen Konflikten heraushielt. Bis Napoleon
kam.

Der Korse mischt den Laden auf
    Umgeben von größeren, stärkeren Ländern, ist die
Schweiz im Lauf ihrer Geschichte erstaunlicherweise nur ein Mal erobert worden
– ein Kunststück, auf das man heute noch stolz ist. Als 1798 ein kleinwüchsiger
Korse anrückte, wurde kurz Widerstand geleistet, doch die alte Konföderation
hielt nicht lange stand. Seit ihrer kleinen Auseinandersetzung bei Marignano
hatten Schweizer und Franzosen bis dahin in guter Nachbarschaft gelebt – trotz
sprachlicher Unterschiede und religiöser Differenzen. Gar nicht übel, wenn man
bedenkt, dass Frankreich im Lauf seiner Geschichte praktisch ständig mit
irgendjemandem Krieg geführt hat. Die französischen Besatzer wurden zwar nicht
gerade mit offenen Armen empfangen, aber man kann sagen, dass sich ein paar
Schweizer über ihr Eintreffen freuten – wenigstens am Anfang.
    Die Schweiz war damals nicht das demokratische
Musterländle, das wir heute kennen. Im Grunde war die alte Konföderation ein
loser Verbund aus 13
Kleinstaaten, teilweise noch mit aristokratischen Obrigkeiten und feudalen
Strukturen. Daneben gab es mehr als 70 Gebiete, die heute größtenteils zur Schweiz
gehören. Diese waren damals teils unabhängige Verbündete, wie die mächtigen
Städte Genf und St. Gallen, teils abhängige Gebiete wie das Tessin, teils
Schutzgebiete wie die winzige Republik Gersau mit nur 2000 Einwohnern. Napoleon
löste dieses Gebilde erst einmal auf und schuf die Helvetische Republik, einen
Zentralstaat mit ebensolcher Regierung. Die Schweiz als Nationalstaat war
geboren.
    Da hier Napoleon am Werk war, lief die Sache aber
anders als geplant. Niemand mochte die neue Regierung mit ihrer Machtfülle,
aber noch unbeliebter war der Zwang, eine Besatzungsarmee zu beherbergen (und
zu verpflegen). Zu allem Überdruss fielen wieder einmal die nervtötenden
Österreicher ein, diesmal, um die Franzosen zu vertreiben. Als Schlachtfeld für
Großmächte zu dienen gefiel den Schweizern überhaupt nicht – sie sahen sich
wieder einmal darin bestätigt, dass man sich aus solchen Konflikten lieber
raushielt. Das erste große Experiment mit einer Zentralregierung währte also
nur fünf Jahre, ehe es an internen Streitereien und externen Machtkämpfen
scheiterte. Napoleon zeigte Einsicht, schaffte die Helvetische Republik ab und
rief eine neue, verbesserte Version der alten Konföderation ins Leben.
    Als der einzige Eroberer nimmt Napoleon eine
Sonderstellung in der Schweizer Geschichte ein (obwohl er dafür nicht gerade
gefeiert wird), und sein Einfluss ist noch heute spürbar. Sechs Kantone
verdanken seinen Reformen ihre Existenz; auch geht die Idee, Bürger der Schweiz
und nicht nur eines Kantons zu sein, auf ihn zurück. Seine Republik mag ein
Beispiel dafür gewesen sein, wie man nicht regieren sollte, aber er garantierte
wenigstens jedem Schweizer Mann dieselben Rechte (Schweizerinnen mussten darauf
noch eine Weile warten) und schaffte sowohl den Feudalismus als auch die
abhängigen Gebiete ab. Und in Bern hat seine Armee ein sichtbares Andenken
hinterlassen: Die Straßenschilder haben vier verschiedene Farben, was den
Analphabeten unter den französischen Soldaten half, zu ihrem Quartier zu
finden. Auf der einen Straßenseite sind die Schilder gelb, auf der
gegenüberliegenden grün – eine kleine historisch begründete Anomalie, die
fotografierende Touristen heute aber kaum bemerken.
    Ein weiteres Nebenprodukt von Napoleons Intervention
war die Schweizer Fahne. Bis dahin hisste jeder Kanton

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