Der Schweizversteher
die Berge, um die herrliche Aussicht und die Einsamkeit zu
genieÃen â sofern sich nicht gerade die halbe Schweiz dort oben herumtreibt.
Für viele Bergfreunde geht es aber darum, Wanderer und nicht bloà Spaziergänger
zu sein. Für den Schweizer ist das ein Unterschied wie zwischen einem Reisenden
und einem Touristen. Dem einen ist es ernst, dem anderen nicht, daher
kennzeichnen Turnschuhe und Regenjacke den Spaziergänger, Stiefel und Stöcke
den Wanderer. Wenn die Unternehmung weniger als drei Stunden dauert und eine
asphaltierte Wegstrecke enthält, wenn zu vernachlässigende Höhenunterschiede
überwunden werden (unter 400
Metern) und nicht mindestens ein Gipfel erklommen wird, dann haben Sie leider
nur einen Spaziergang gemacht, auch wenn Sie danach alle viere von sich
strecken. In der Schweiz sind Stiefel nun mal zum Wandern da.
Und für manche robusten Naturfreunde sind die Stiefel
das einzige Kleidungsstück. Nacktwandern ist alarmierend populär, sogar im
Winter, obwohl mir glücklicherweise noch niemand begegnet ist, der beim Wandern
den ganzen Körper der Sonne feilbot. Sich öffentlich nackt zu zeigen ist in der
Schweiz kein Trauma. Viele Badestrände haben FKK -Bereiche,
auch Sauna und Dampfbad betritt man selbstverständlich unverhüllt. Hier nimmt
niemand AnstoÃ, es sei denn, Sie sind bekleidet, aber wenn viel los ist, lässt
sich Hautkontakt kaum vermeiden. Es ist nicht ganz so schlimm wie in
Deutschland, wo man nie recht weiÃ, wann einem der oder die nächste Nackte
begegnet. Machen Sie im falschen Teil des Englischen Gartens ein Picknick, und
Ihnen bleibt das hart gekochte Ei im Halse stecken. Glücklicherweise sind auf
dem Weg der Schweiz alle Leute vollständig bekleidet.
Lassen wir das Mittelalter links liegen
In Bauen am Urner See kann man gut zwei Millionen
Menschen (oder besser gesagt ihren Anteil am Weg) überspringen, wenn man erneut
ein Schiff besteigt, das einen in zwanzig Minuten ans andere Ufer bringt. Bei
dieser Fahrt geht es im Eiltempo durch weitere hundert geschichtsträchtige
Jahre, in denen die Schweiz Ãsterreich erneut besiegte. Diese Kampfbereitschaft
lebt bis heute fort, wenn auch auf dem friedlicheren Gebiet des Sports: Kein
Frühling bricht an, ohne dass zuvor die Leistungen schweizerischer und
österreichischer Skiathleten verglichen wurden. Das Verhältnis ist ähnlich wie
zwischen Deutschland und England auf dem FuÃballfeld, obwohl die Schweizer
häufiger die Oberhand behalten als die Engländer.
Bei den Winterolympiaden weist der Ewige
Medaillenspiegel allerdings 201
Trophäen für Ãsterreich und nur 127 für die Schweiz aus, was eine tiefe Wunde
in die Schweizer Seele schlägt. Andererseits schneidet die Schweiz bei den
Sommerspielen dank SchieÃen, Reiten, Rudern und Radfahren sehr viel besser ab.
So oder so darf in keinem Schweizer Geschichtsbuch die Schlacht bei Sempach von
1386
fehlen. Der Sieg, den die Schweiz hier über Ãsterreich davontrug, mag den
übrigen Europäern wenig bedeuten, die Eidgenossen aber feiern ihn jedes Jahr.
Sempach war ihr Azincourt. Die gewonnene Schlacht sicherte ihnen ihre
Unabhängigkeit gegenüber dem Habsburgerreich und stärkte ihren Ruf als ernst zu
nehmende Soldaten. Damals waren die Schweizer noch nicht die Friedensapostel
Europas, sondern so militaristisch wie der Rest â sie fielen bei ihren Nachbarn
ein, rissen Land an sich, führten Kriege und machten Beute, ohne sich mit einem
schlechten Gewissen zu plagen. Und diese Furcht einflöÃende Kriegsmaschinerie
würde von nun an im groÃen Stil in der europäischen Geschichte mitmischen.
Wir schreiben das Jahr 1476; eines der reichsten
und mächtigsten Länder der Epoche ist Burgund unter Herzog Karl dem Kühnen. Er
beherrscht groÃe Gebiete Westeuropas von Holland und Belgien über
Nordfrankreich und das Elsass fast bis hinunter nach Genf. Da Frankreich und
England einander die letzten hundert Jahre durch ständigen Krieg in eine
Pattsituation manövriert haben, während Deutschland und Italien in
Kleinstaaterei verharren, ist für Burgund der Weg zur Vormachtstellung
vorgezeichnet. Doch mit Karl geht es den Bach hinunter, als er sich auf einen
Konflikt mit der Schweiz einlässt, die nunmehr acht Kantone umfasst. In jenem
Jahr werden die Burgunder zwei Mal, im März bei Grandson und im Juni bei
Murten, so vernichtend geschlagen, dass
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