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Der Schweizversteher

Der Schweizversteher

Titel: Der Schweizversteher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diccon Bewes
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zu Hause und in der
Schlacht seine eigene Flagge. Napoleon führte eine Trikolore ein, ein ziemlich
hässliches grün-rot-gelbes Ding, das ebenso schnell in der Versenkung
verschwand wie die Republik, die es repräsentierte. Der fehlende Zusammenhalt
angesichts der Invasion veranlasste jedoch General Dufour (der Namensgeber des
höchsten Gipfels der Schweiz), den Wert eines gemeinsamen Feldzeichens zu
propagieren. Die neue Fahne war dann wie ihre kantonalen Cousinen quadratisch
und rot mit einem weißen Kreuz in der Mitte. Als Feldzeichen war sie nur einmal
im Einsatz (1847,
siehe unten), ehe sie zur Nationalflagge wurde. allerdings – typisch Schweiz –
gab es eine hitzige Debatte über die exakte Form des Kreuzes, bis 1889
ein Bundesbeschluss Folgendes regelte: »Das Wappen der Eidgenossenschaft ist im
roten Felde ein aufrechtes, frei stehendes weißes Kreuz, dessen unter sich
gleiche Arme je ein Sechstel länger als breit sind.« Die Schweizer Fahne ist
nach wie vor quadratisch; weltweit gibt es nur noch eine weitere Nationalflagge
in dieser Form, die des Staates Vatikanstadt, Heimat der Schweizergarde.
Zufall? Ich glaube nicht.

Mein Name ist Tell, Wilhelm Tell
    Die nächsten Kilometer auf dem Weg der Schweiz gelten
den von Napoleon geschaffenen sechs Kantonen, die allesamt 1803 beitraten,
vergleichbar der großen EU -Erweiterung von 2005.
Die Wiedergeburt der Konföderation fiel mit dem Wiederauftauchen eines
Schweizer Volkshelden zusammen: Wilhelm Tell. Dank dem von einem Deutschen
verfassten Theaterstück und dem von einem Italiener komponierten Ohrwurm wurde
Herr Tell in ganz Europa bekannt. Heutzutage würde er wahrscheinlich als
Terrorist ohne Verfahren im Kerker landen, aber Anfang des 19. Jahrhunderts war die
Romantik der letzte Schrei und Tell wurde ein Held à la Robin Hood. Für die
Schweizer war er das immer schon gewesen, aber dass die Legende die
internationale Bühne betrat, passte nicht schlecht zum weiteren Aufbau der Nation.
Das Problem ist nur, dass niemand weiß, ob es ihn wirklich gab, obgleich die
Leugnung seiner Existenz für Schweizer Nationalisten dem Hochverrat
gleichkommt. Und weil Wilhelm als Kind dieser Berge gilt, scheint es
angebracht, hier und jetzt seine Geschichte zu erzählen.
    Jede Legende hat einen Bösewicht, und in dieser ist es
ein Österreicher (was sonst?) namens Hermann Gessler. Als neu eingesetzter
habsburgerischer Landvogt zu Altdorf, dem Hauptort des Kantons Uri, steckt
Gessler seinen Hut auf eine Stange auf dem Marktplatz und fordert, jeder
Untertan müsse die Kopfbedeckung grüßen. Unser Held, der mit seinem Sohn Walter
in die Stadt kommt, nickt dem Hut nicht einmal zu und wird prompt verhaftet.
Gessler bietet Tell die Freiheit, wenn es ihm gelinge, einen Apfel von Walters
Kopf zu schießen. Selbstredend trifft Tell, ein herausragender Armbrustschütze,
den Apfel. Unbeeindruckt fragt Gessler Tell, warum er einen zweiten Pfeil zur
Hand genommen hat. Als Tell ihm sagt, der sei für den Landvogt bestimmt gewesen,
falls der erste nicht den Apfel, sondern Walters Kopf gespalten hätte, lässt
der erboste Landvogt ihn auf die Burg nach Küssnacht am anderen Ufer des
Vierwaldstätter Sees verschleppen. Glücklicherweise kommt während der Überfahrt
ein Sturm auf, und Tell rettet sich mit einem Sprung ans nahe Ufer. Zu Fuß
erreicht er Küssnacht, lauert dem Vogt in der Hohlen Gasse auf und erledigt ihn
durch einen Pfeilschuss ins Herz. Tell ist ein Held, der Bösewicht tot und die
Schweizer sind ermutigt, den Freiheitskampf gegen diese heimtückischen
Österreicher aufzunehmen.
    Auf dem Altdorfer Marktplatz steht heute das
Telldenkmal, ein bärtiger Hüne mit breiter Brust, der eher an Little John als
an Robin Hood erinnert. Jeden Sommer wird Schillers Stück unter freiem Himmel
in Interlaken aufgeführt, einer Stadt, die mit der Tell-Legende nichts zu tun
hat, aber viele Touristen anlockt, welche sich die ausgelassene Darbietung mit
einheimischen Schauspielern, galoppierenden Pferden, Hunderten Laiendarstellern
(wenn man die Kühe mitrechnet) zu Rossinis mitreißender Musik gern anschauen.
Schiller verpflanzt Tell mitten in die Ereignisse, die zum Rütlischwur führen,
und so haben auch Fürst, Stauffacher und Melchtal ihren Auftritt. Aber als
Vater der Nation müssen sie Tell den Vortritt lassen; laut einer Umfrage aus
dem Jahr 2004
glauben 60
Prozent der

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