Der Schweizversteher
verletzt
wird. Die Initiatoren haben 18
Monate Zeit, um 100Â 000
Unterschriften von Stimmberechtigten zu sammeln und damit eine Abstimmung zu
erzwingen; so geschehen bei der Initiative zur Abschaffung der Armee
(durchgefallen) oder für den Beitritt zu den Vereinten Nationen (angenommen).
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Der Gegenvorschlag: Wenn Bundesrat oder Bundesversammlung mit einer
Volksinitiative nicht einverstanden sind, können sie eine eigene Alternative
präsentieren. Ãber beides wird dann gleichzeitig abgestimmt. Merkwürdigerweise
können beide Vorschläge angenommen werden, bekannt als »doppeltes Ja«. Gewonnen
hat dann der Vorschlag mit den meisten Jastimmen.
Fast dasselbe System gibt es auf Kantonsebene, mit dem
groÃen Unterschied, dass hier für die verschiedenen Varianten unterschiedlich
viele Unterstützer erforderlich sind. So müssen für eine Volksinitiative im
Kanton Bern 15Â 000
Unterschriften gesammelt werden, für ein fakultatives Referendum hingegen nur 10 000. Im
Kanton Fribourg braucht man für beides jeweils 6000 Stimmberechtigte, im
Kanton Aargau wegen der niedrigeren Einwohnerzahl wiederum nur 3000.
Der springende Punkt bei den Referenden besteht darin,
dass Volkes Stimme die höchste Entscheidungsinstanz und bindend ist. Lautet das
Ergebnis der Abstimmung »nein«, dann ist das Gesetz durchgefallen, der Vertrag
bleibt unratifiziert, oder die Initiative ist abgelehnt. Hat die Regierung
verloren, gibt sie jedoch nicht auf, sondern macht sich erneut an einen Entwurf
und arbeitet einen Kompromiss aus. Wurde die Abstimmung gewonnen und damit ein
Gesetz angenommen oder die Regierung gezwungen, aus einer Volksinitiative ein
Gesetz zu machen, gibt es allerdings noch das Kleingedruckte. Und das kann
bedeuten, dass aus einem »Ja« ein »Nein« wird. Denn vielleicht braucht es für
das betreffende Gesetz das »doppelte Mehr«.
Bei einem durchschnittlichen Referendum, von denen es
eine Menge gibt, reicht die Mehrheit der landesweiten Stimmen. Die meisten
Volksinitiativen erreichen dieses Ziel nicht, weniger als zehn Prozent werden
angenommen. Doch bei obligatorischen Referenden genügt eine einfache Mehrheit
nicht, und will eine Volksinitiative eine Teilrevision der Bundesverfassung
erreichen, braucht sie ebenfalls nicht nur die Mehrheit aller gültigen Stimmen
(das sogenannte Volksmehr), sondern gleichzeitig auch eine Mehrheit der
gültigen Stimmen in einer Mehrheit der Kantone (das sogenannte Ständemehr).
Damit soll verhindert werden, dass die kleinen und im Allgemeinen
konservativeren Kantone überstimmt werden, sie haben damit aber
überproportional Einfluss.
Jeder Kanton zählt nämlich als eine Stimme, egal ob
dort wie im Kanton Genf 200Â 000
oder wie im Kanton Uri 25Â 000
Stimmberechtigte wohnen. Nur die sechs Halbkantone müssen sich mit jeweils
einer halben Stimme begnügen (ein Referendum benötigt also eine Mehrheit von
mindestens zwölf Stimmen, obwohl es 26 Kantone gibt). Bei einem
Kopf-an-Kopf-Rennen kann das ausschlaggebend sein. Das Pikante an der Sache
ist, dass man eine Verfassungsänderung bräuchte, um dieses »doppelte Mehr«
abzuschaffen, doch dazu wäre ein »doppeltes Mehr« erforderlich. Und da die kleinen
Kantone sehr wahrscheinlich nicht für ihre eigene Schwächung stimmen würden,
bliebe vermutlich alles beim Alten.
Allem Anschein nach ein kompliziertes System, doch es
funktioniert, wenn auch im Schneckentempo. Bis aus einer Volksinitiative ein
Bundesbeschluss geworden ist oder ein Gesetz vom Volk angenommen wurde, können
Jahre vergehen. Die Bundesversammlung hat bereits 1959 das Frauenwahlrecht
verabschiedet, doch es dauerte noch zwölf Jahre, bis sich die (männlichen)
Stimmberechtigten dafür aussprachen. Und da weniger als die Hälfte der
Referenden angenommen wird, kann es langwierig und vergebliche Liebesmüh sein,
will man die Billigung der Stimmberechtigten erringen. Geduld und langfristiges
Denken sind Voraussetzungen, und beides ist den Schweizern eigen. Ãberlegen
doch Sie einmal, ein Treffen einzuberufen, um eine Arbeitsgruppe zu gründen,
die sich mit der Möglichkeit befasst, ein Komitee damit zu beauftragen, eine
Initiative zu planen, die den Vorschlag für ein Gesetz einbringt, das dann
vielleicht in fünf Jahren in Kraft tritt. So ungefähr funktioniert das System
und niemand scheint sich darum zu scheren, dass der Rest der Welt
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