Der Schweizversteher
50
Prozent. Das könnte ein Zeichen für Wahlmüdigkeit sein. SchlieÃlich muss man
erst einmal das System kapieren und wird wegen der Vielzahl von Wahlen auf den
verschiedenen Ebenen ständig zur Urne gerufen. AuÃerdem ist neben all den
Ratswahlen ja noch über die Referenden abzustimmen.
Ein anderer Grund könnte allerdings
sein, dass die allgemeinen Wahlen wenig bewirken. Der neue Bundesrat wird eine
Koalition sein und ziemlich genauso aussehen wie der alte; wenn man Glück hat,
geht vielleicht ein Sitz an eine andere Fraktion. In der Bundesversammlung hat
ein Umschwung gröÃere Folgen, wie kürzlich das Beispiel der
SVP
gezeigt hat. Andererseits hat das
Schweizer Parlament weniger zu sagen als die Parlamente in anderen Ländern, die
Wirkung hält sich also auch hier in Grenzen.
Bei einem durchschnittlichen
Referendum ist die Beteiligung noch niedriger, normalerweise liegt sie um die 40
Prozent. Das wirkt
paradox, denn schlieÃlich hat ein Referendum sehr viel mehr Einfluss als das
Ergebnis einer allgemeinen Wahl, da hier wirklich jede Stimme zählt. Aber
vielleicht lässt die Begeisterung nach, wenn man ständig aufgefordert wird,
sich für oder gegen etwas zu entscheiden. Noch wahrscheinlicher ist, dass die
meisten Wahlberechtigten mit dem Status quo zufrieden sind und es vorziehen,
sich nicht einzumischen oder gar eine Veränderung auf den Weg zu bringen.
Auffällig ist, dass die Wahlbeteiligung nach oben schnellt, wenn es um etwas
Wichtiges geht: 69
Prozent bei der Initiative zur Abschaffung der Armee 1989 und 78 Prozent bei der Abstimmung über
den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum 1992.
Aber selbst wenn die Wahlbeteiligung
niedrig ist, bezieht das System der direkten Demokratie die Menschen ein und
motiviert sie zum Handeln. Zwischen 1971 und 2010 gab es fakultative Referenden
zu 94
verschiedenen Gesetzen und Beschlüssen der Bundesversammlung, im selben
Zeitraum wurden 121
Volksinitiativen zur Abstimmung gestellt. Dafür wurden eine ganz Menge Komitees
gegründet, Unterschriften gesammelt, Kampagnen organisiert und Reden gehalten.
Auch wenn letztlich nur dreiÃig beziehungsweise elf davon angenommen wurden â
ein solches Maà an politischer Teilhabe kennt man in anderen Demokratien nicht
einmal vom Hörensagen. Und vor allem erinnert es die gewählten Politiker daran,
dass das Volk immer präsent ist und darauf wartet, sein Urteil abzugeben.
â
Lieber reich und gesund â¦
Vom
Geld und was es in der Schweiz wert ist
Zürich mag nicht die Hauptstadt sein, aber für viele
ist die Metropole der Inbegriff der urbanen Schweiz: kompakt und effizient,
dennoch kosmopolitisch und aufregend, vor allem wenn man aus dem ländlichen
Appenzell kommt. Zürich hat alles, was eine Schweizer Stadt braucht: Seeufer,
Alpen im Hintergrund, vorüberrollende Trambahnen, in den Himmel ragende
Kirchturmspitzen. Nicht ein Hauch von Umweltverschmutzung, es liegt sogar ein
zarter, aber unverkennbarer Schokoladenduft in der Luft. Kein Wunder, dass
Zürich regelmäÃig ganz oben auf der Hitliste der lebenswertesten Städte der
Welt steht.
Nicht nur in der englischsprachigen Welt beschwört
Zürich aber auch das Bild des Bankers im grauen Anzug herauf. Einstmals, als
das Pfund in der Tasche noch 20
Schilling wert war, kreierte der britische Premier Harold Wilson das geflügelte
Wort von den »Gnomen von Zürich«. Und damit meinte er nicht die kleinen
bärtigen Gestalten, die an den Weihnachtsmann erinnern und zahlreiche englische
Vorgärten bevölkern. Diese Zwerge waren gierige Heimlichtuer, die mit ihrem
gehorteten Gold im Untergrund lebten und eine weltweite Spekulation gegen das
unschuldige Pfund Sterling betrieben. Nicht gerade ein schmeichelhaftes Bild,
aber schwer wieder auzuräumen. Wer die Wendung heute googelt, stöÃt auf Artikel
über das Schweizer Bankwesen. Sie wirkt sogar unbewusst in Harry
Potter nach â wo die Zauberbank Gringotts von Kobolden geführt wird, den
noch hässlicheren Vettern der Gnome, die in Märchen ja traditionell die
Bösewichter geben. Heutzutage werden Banker mit noch schlimmeren Beschimpfungen
überschüttet, aber Wilson lebte in einer Epoche, in der Bankiers zumindest in
GroÃbritannien noch ehrliche, anständige Leute waren, denen man das Tafelsilber
anvertraute und die man im Krisenfall um Rat fragte â nicht Banditen, die mit
Luftnummern
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