Der Schweizversteher
andere
Sprache oder hat eine andere Religion oder Hautfarbe, wird Integration
schwierig. Ausländer können sich hier ihr ganzes Leben wie die sprichwörtlichen
AuÃenseiter fühlen, und die Tatsache, dass sie regelmäÃig für alle Zipperlein
des Landes (mögen das auch noch so wenige sein) verantwortlich gemacht werden,
ist nicht gerade hilfreich. Hört man einem RechtsauÃen zu, könnte man glauben,
es säÃe kein einziger Schweizer im Gefängnis und kein Schweizer würde je zu
Unrecht Sozialleistungen beziehen oder betteln. Nur Ausländer .
Glücklicherweise denken nicht alle Schweizer so, wie
die Wahl im Oktober 2011
zeigte.
Ein politisches Soufflé
Zum ersten Mal seit 1987 hat die SVP Stimmen und Sitze verloren, vermutlich weil die
Zuwanderung ihr einziges Wahlkampfthema war. Präsentiert wurde ein drittes
provokatives Plakat in Rot, Weià & Schwarz, das unter dem Motto »Genug ist
genug« ein Ende der Masseneinwanderung forderte. Am Ende hatten die Schweizer
tatsächlich genug â von fremdenfeindlicher Paranoia und polarisierendem
Wahlkampf, noch dazu in einer Zeit wirtschaftlicher Unsicherheit. Gerade einmal
26
Prozent der Schweizer stimmten für die SVP (ein
Rückgang um 2,3
Prozent), sodass die Partei im Nationalrat acht Sitze verlor, was verhinderte,
dass ihre Platzhirsche (darunter Herr Blocher) den Ständerat stürmten. Die SVP hatte verkündet, »Schweizer wählen SVP «, aber 2011 entschieden sich drei von vier Schweizern
anders.
Doch die Volkspartei war nicht die einzige, die ins
Straucheln kam. Alle groÃen Parteien büÃten Stimmen ein, wobei die FDP , maÃgeblich an der Gründung der modernen Schweiz
beteiligt, die höchsten Verluste verzeichneten. Ihr langsamer Niedergang ist
offenbar nicht aufzuhalten, und 2011 war nur ein weiterer Meilenstein auf dem
Weg bergab. Ein Minus von 2,6
Prozent der Stimmen, zum ersten Mal seit 1919 stellen sie in
Graubünden keinen Nationalrat, und der Parteipräsident hätte bei den Wahlen im
Tessin beinah eine Niederlage eingesteckt: Fulvio Pelli kratzte eine knappe
Mehrheit von nur 58
Stimmen zusammen. Sogar die Sozialdemokraten verloren Stimmen (gewannen aber
Sitze hinzu), und das alles nur wegen zwei neuen Parteien in der Mitte. Während
rechts und links Verluste zu verzeichnen waren, schaffte die »Neue Mitte« â mit
einem Soufflé vergleichbar und sicherlich mit ebenso viel heiÃer Luft gefüllt â
einen spektakulären Aufstieg. Die neuen Stars waren die Bürgerlich-Demokratische
Partei ( BDP ), die sich nach Blochers Abwahl 2007
von der SVP abspaltete, und die
Mittelinksformierung der Grünliberalen Partei ( GLP ).
Beide übersprangen die magische Fünf-Prozent-Hürde und erhielten gemeinsam 21
Sitze im Nationalrat. Das politische Gleichgewicht in der Schweiz verschob sich
überdeutlich zur Mitte, was nach acht Jahren der Konfrontationen eine Rückkehr
zur Konsenspolitik signalisieren mag. Wieder mal typisch Schweiz.
Nach den brisanten Wahlen der Jahre 2003
und 2007
war es vielleicht nur natürlich, dass es 2011 ruhiger und gemäÃigter
ablief. Aber es kann auch, selbst in der Schweiz, zu ruhig werden. Wenn der
Höhepunkt der Wahlkampfberichterstattung im Kidnapping eines Ziegenbocks
besteht, überrascht es nicht, dass die Beteiligung unter 50 Prozent liegt. Dass die
Entführung und das Umfärben von Zottel, dem Maskottchen der SVP , ein Hauptwahlkampfthema war, das auch im Ausland
Nachrichtenwert hatte, sagt ebenso viel über die Schweizer Politik aus wie über
Medienschwerpunkte auÃerhalb der Eidgenossenschaft. Der Durchbruch von BDP und GLP verblüffte so
manchen, aber nicht so sehr wie ein anderes Ergebnis, vielleicht das
erfreulichste der ganzen Wahl: Roger Federer erhielt bei der Ständeratswahl im
Kanton Schwyz 132
Stimmen. Er kandidierte zwar nicht, aber sein Name wurde von vielen Wählern
eingetragen.
Mag auch die SVP die Wahl
gewonnen haben, so haben doch nur 25 Prozent der Wähler für sie gestimmt,
übersetzt also etwa acht Prozent der Bevölkerung. Denn von den 7,7
Millionen Einwohnern waren nur 4,9 Millionen wahlberechtigt, weniger als die
Hälfte hat dieses Recht in Anspruch genommen, und von denen hat nur jeder
Vierte für die SVP gestimmt. Und auch wenn es sich
bei diesen acht Prozent um eine sehr lautstarke, aktive und einflussreiche
Minderheit handelt, die das System der
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