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Der Schweizversteher

Der Schweizversteher

Titel: Der Schweizversteher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diccon Bewes
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verstehe ich noch ganz gut, aber auf Deutsch sind die Zahlen ja umgekehrt:
null einundzwanzig, drei vierundsechzig, neunundsiebzig, fünfundachtzig.
Versuchen Sie als Engländer einmal, das mitzuschreiben, während jemand spricht
– wetten, Sie notieren die falsche Nummer? Buchstäblich. Zuerst müssen Sie die 0
schreiben, dann lassen Sie eine Lücke und schreiben 1, in die Lücke kommt dann die 2, dann
springen Sie zur 3,
nach einer Lücke folgt die 4,
dann wird davor die 6
eingefügt und so weiter. Vielleicht dient dieses numerische Froschhüpfen dazu,
die ansonsten erschreckend langen deutschen Zahlen aufzulockern. 364, also
dreihundertvierundsechzig, ist ja ein ganz schöner Brocken.
    Die Art, wie Schweizer Telefonnummern
angeben, mag seltsam sein, aber es ist zumindest sprachlich betrachtet logisch.
Von den Notrufnummern kann man das allerdings nicht behaupten. Wie kann es
sein, dass in einem Land, das sonst alles exakt organisiert, jeder
Rettungsdienst seine eigene Nummer hat? Hier ist das Widerstreben gegen
zentralistische Lösungen doch wohl völlig fehl am Platz. Unter 117
erreicht man die Polizei, unter 118 die Feuerwehr und unter 144 die
Ambulanz. Was geschieht, wenn man versehentlich die falsche Nummer wählt? Oder
wenn man sowohl die Polizei als auch die Feuerwehr braucht? Muss man dann zwei
Mal anrufen? Es wäre lächerlich, wenn es nicht so ernst wäre. Hinzu kommt noch,
dass die Telefonauskunft die Nummer 1818 hat. Kein Wunder also, dass
sich bei der Feuerwehr manchmal Leute nach der Nummer der nächsten Pizzeria
erkundigen.
    Doch nicht nur bei den Telefonnummern
herrscht Chaos, sondern auch bei den Adressen. Für Schweizer wohnt der
britische Premierminister in der Downing Street 10, weil die Hausnummer nach der
Straße steht (abgesehen von Ferienchalets haben Schweizer Häuser selten Namen,
das wäre zu individuell für das Haus und seinen Besitzer). Die Postleitzahl
hingegen steht vor dem Ortsnamen: Die Buchhandlung Stauffacher, bei der ich
früher arbeitete, finden Sie in der Neuengasse 25–37 in 3001 Bern. So viel zur Schweizer
Logik.
    Als Ausländer in der Schweiz möchte
man manchmal statt geschriebener Ziffern die Finger zu Hilfe nehmen. Aber
Vorsicht: Schweizer benutzen den Daumen statt des Zeigefingers für die Eins.
Vier wird also mit Daumen sowie Zeige-, Mittel- und Ringfinger angezeigt, statt
wie in weiten Teilen der Welt den Daumen auf die Handfläche zu legen und die
übrigen Finger hochzuhalten. Und das ist nicht das Einzige, was die Schweizer
mit dem Daumen tun. Als mir zum ersten Mal ein Freund die um seinen Daumen
geballte Faust entgegenreckte, wusste ich nicht recht, wie reagieren. Für einen
freundschaftlichen Rippenstoß war er zu alt, für eine Drohgebärde zu höflich.
In Wirklichkeit wollte er mir nur viel Glück wünschen. Schweizer kreuzen dafür
nicht die Finger, die drücken buchstäblich die Daumen.
    Noch komplizierter wird die
Zahlenspielerei durch die lokalen Varianten der normalen Zahlen. Bis ich in die
Schweiz kam, dachte ich, ich könnte auf Deutsch und auf Französisch zählen. Um
zu zeigen, dass sie echte Schweizer und keine französische Provinz sind, haben
die Bewohner der Romandie aber für 70 bis 99 eigene Bezeichnungen. Beim
Bingo-Beispiel von oben wäre das – ehrlich gesagt ziemlich lächerliche –
quatre-vingt-huit
auf
Schweizerisch
huitante-huit
. Nicht
schwer, wenn man es weiß. Was die schwyzerdütschen Zahlen betrifft, haben sie
mir als Ausländer eine meiner peinlicheren Erfahrungen beschert. Ein ziemlich
neuer Freund gab mir seine Handynummer und betete geduldig eine Ziffer nach der
anderen herunter. Die letzten drei waren 896, was sich in seinem Berner
Dialekt wie
achti-nuuni-sechsi
anhörte. Ich verstand aber nur „afternoon sex“. Nun bin ich es nicht gewohnt,
in der Gemüseabteilung des Coop angebaggert zu werden, und mein Gesicht lief so
rot an wie die Tomaten hinter mir. Abgesehen von meinem Erröten war die
unmittelbare Folge, dass ich die Schweizer Zahlen im Schnellverfahren lernte.
Eine, die mich immer noch zum Lächeln bringt, ist die 5: In Bern wird aus dem hässlichen
deutschen
fünf
ein
füüfi
, was vor meinem
inneren Auge einen kleinen weißen Pudel heraufbeschwört.
    Die Zeit wirft ganz eigene
Übersetzungsprobleme auf. Zum Beispiel haben sich Freunde mit mir „um halb
sieben“

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