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Der Schweizversteher

Der Schweizversteher

Titel: Der Schweizversteher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diccon Bewes
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er
offiziell übernommen wurde. Das führte naturgemäß zu einem Roten Davidstern für
Juden und nun zum Roten Kristall, vermutlich für Hindus, Buddhisten, Sikhs und
Ungläubige. Was die Sache ein bisschen zu weit treibt und den vielleicht
wichtigsten Erfolgsfaktor der Organisation zu verwässern droht: die sofortige
Erkennbarkeit.

Frieden mitten im Krieg
    Die größte Herausforderung – und die größte Niederlage
– brachte der Zweite Weltkrieg. Keins der drei Genfer Abkommen (das vierte
folgte 1949)
bot Antworten auf Massenverhaftungen und den Mord an Zivilisten, und das Rote
Kreuz versäumte es, seine Richtlinien und seine Arbeitsweise an die Realität
der Konzentrationslager anzupassen. Ein weiteres Problem war die Beziehung
zwischen dem Roten Kreuz und der Schweiz, die beide offiziell neutral waren.
Beim IKRK befürchtete man, jede Intervention in
Deutschland würde als Parteinahme gedeutet, das Gastland an den Pranger stellen
und damit die Arbeit der Organisation, so begrenzt sie sein mochte, gefährden.
Dass ein Mitglied der Schweizer Regierung im Komitee saß, könnte dabei vielleicht
auch eine Rolle gespielt haben. Zwar halfen das Rote Kreuz als Organisation und
viele einzelne Mitglieder, wo sie konnten, aber es gab keine öffentliche
Verurteilung der Todeslager, obwohl sich später herausstellte, dass man beim IKRK genau wusste, was los war.
    Die Schweiz verhielt sich selbst auch nicht viel
besser. Neutralität kann schon in guten Zeiten schwierig sein, und damals
erlebte das Land – eine Insel im Meer der Achsenmächte und von Invasion bedroht
– zweifellos seine schlimmste Zeit. Aber die Invasion blieb aus, und die
Legende von der Festung Schweiz mit ihren Gebirgsbunkern und der stets
einsatzbereiten Armee aus Scharfschützen war geboren. Die Schweizer sahen (und
viele sehen es heute noch so) den Krieg als ihre Sternstunde, in der sie dem mächtigen
Deutschland die Stirn boten. Mag sein, dass Hitler die Heckenschützen in ihren
Bergbunkern abschreckend fand, wahrscheinlicher ist aber, dass er durch größere
Vorhaben abgelenkt war – wie die Invasion in Russland und damit, dem
schwächelnden Italien unter die Arme zu greifen. Auch schadete es aus seiner
Sicht nicht, wenn die Schweiz neutral blieb. So konnte er die Alpenwege der
Eidgenossen für nicht militärische Transporte nutzen, von ihrer Ingenieurskunst
profitieren und Gold auf ihren Banken deponieren. Die Schweiz hatte kaum eine
andere Wahl, als dieses Spiel mitzuspielen – ziemlich schwierig, es beiden
Seiten recht zu machen, wenn der eine Konfliktgegner 1000 Kilometer entfernt
ist, während der andere den eigenen Zugang zur Außenwelt und zu den nötigen
Importgütern kontrolliert –, aber die Eidgenossen sind den Deutschen vielleicht
mehr entgegengekommen als unbedingt nötig.
    Ein neutrales Land muss oft zwischen Teufel und
Beelzebub wählen; das Binnenland Schweiz entschied sich für den Pakt mit dem Teufel.
Im Krieg war das kein so großes Problem; die Schwierigkeiten kamen später, als
die Alliierten die Schweizer bestenfalls als Duckmäuser und schlimmstenfalls
als Kollaborateure des Erzfeinds ansahen. Aber als sie jüdische Flüchtlinge
abwies, hat sich die Schweiz nicht anders verhalten als Großbritannien oder
Amerika; sie war nur näher dran an dem Problem. Wenn sie das IKRK zum Schweigen veranlasste, ging es darum,
Deutschland keinen fadenscheinigen Vorwand für eine Invasion zu liefern. Und
wenn sie sich auf Geschäfte mit »dem Feind« einließ (womit natürlich beide
Seiten gemeint sind), tat sie das, um zu überleben. Alles, was die Schweiz tat
und unterließ, lässt sich so oder so deuten; es hängt davon ab, was man sehen
will. Der Westen hat über das Handeln der Schweiz im Krieg den Stab gebrochen
und rückblickend und aus der Sicht der Sieger sein Urteil auch nie revidiert,
aber gerechtfertigt ist das wohl nur in einem Bereich. Wie sich Ende des
letzten Jahrhunderts gezeigt hat, sollte der Begriff »Nazigold« die Schweiz und
ihre Banken noch lange nach Kriegsende verfolgen.
    Die Wege des Roten Kreuzes und der Schweiz trennten
sich schließlich, und die Hilfsorganisation wurde zur »internationalen
Rechtspersönlichkeit«. Somit steht das Rote Kreuz auf derselben Rechtsgrundlage
wie die Vereinten Nationen. Das IKRK hat seinen
Sitz nach wie vor in der Schweiz, aber sein

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