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Der Schweizversteher

Der Schweizversteher

Titel: Der Schweizversteher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diccon Bewes
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Mittwoch im
Februar um 13.30 Uhr
der jährliche Sirenentest stattfindet. Wenigstens haben die Sirenen noch einen
Zweck außer der Warnung vor Angriffen von Gott weiß wem – sie werden auch bei
Überschwemmungen, Lawinenabgängen und anderen Naturkatastrophen angestellt.
    Der schlimmste Aspekt des schweizerischen Militarismus
ist der Export von Waffen. Einer Menge Waffen. Mir will nicht einleuchten, wie
ein Land, das Frieden und Neutralität predigt, Waffen an 72 Länder der Welt
verkaufen kann – Hauptabnehmer ist übrigens Pakistan. Pro Kopf gerechnet ist
die Schweiz der sechstgrößte Waffenexporteur der Welt und setzt somit
prozentual mehr ab als die Briten oder die Amerikaner. Bewaffnete Neutralität
ist eine Sache, da geht es um Selbstverteidigung; etwas ganz anderes ist es,
wenn man den Tod exportiert. Sich in einem Konflikt für neutral zu erklären
oder gar als Vermittler anzubieten ist hochgradig absurd, wenn man eine der
Konfliktparteien mit Mordwerkzeug versorgt; die Schweizer setzen diesen
Widerspruch außer Kraft, indem sie an beide Parteien Waffen verkaufen. Was
zählt schon die Moral, wenn man gutes Geld machen kann? »Der Krieg ist eine
bloße Fortsetzung der Geschäfte mit anderen Mitteln«, hätte Clausewitz wohl
gesagt, wäre er Schweizer gewesen. So wie einst, als sie ihre Bürger als
Söldner exportierte oder Gold von allen nahm, die welches hatten, profitiert
die Schweiz heute noch von Kriegen, die andere führen. Ein Referendum zum
Verbot von Waffenexporten scheiterte im November 2009. Offenbar sind für die
meisten Schweizer Moral und Geld zwei Paar Stiefel.

Festung Schweiz
    Nach meinem Besuch an den Seen im äußersten Osten und
Westen der Schweiz, wo ich Frieden suchte, stehe ich jetzt an einem See mitten
im Land und betrachte den Krieg. Besser gesagt, ich sehe mir an, wie die
Schweiz einen Krieg überlebt hat. An den friedlichen Ufern des Vierwaldstätter
Sees befindet sich, tief in den Berg gegraben und von außen kaum sichtbar, ein
alter Armeebunker. Die Festung Fürigen wurde 1942 als Teil eines
riesigen Netzes unterirdischer Befestigungswerke gegen eine deutsche Invasion
geschaffen. Soldaten waren dort bis 1987 stationiert (anscheinend hat ihnen
niemand gesagt, dass der Krieg vorbei war), anschließend wurde der Bunker in
ein Museum umgewandelt. Und zwar in ein ziemlich gruseliges. In einen langen
Armeemantel gehüllt (drinnen herrschen etwa zehn Grad), gehe ich durch lange,
nasskalte, grob in den Fels gehauene Korridore, die von flackernden Lampen
erhellt werden. Aufgereihte Gewehre, riesige Kanonen, die Granaten zwölf
Kilometer weit feuern können, ein Operationssaal und eine Atomfilterkammer zur
Luftreinigung nach einem Nuklearschlag zeugen davon, dass dieses Bauwerk nicht
für den Frieden errichtet wurde. Die engen Mannschaftsräume und eine Dusche für
hundert Personen zeigen überdies, dass auch der Komfort nicht im Vordergrund
stand. Die Anlage war Teil der Festung Schweiz. Im Falle einer deutschen
Invasion wären die Städte aufgegeben worden, und die Armee hätte, in solchen
Bergbunkern verschanzt, bis zum letzten Mann gekämpft. Das ist bewaffnete
Neutralität in ihrer extremsten und fragwürdigsten Form. Ein fesselnder
Anblick, der die Schweizer »Allzeit-bereit«-Mentalität verdeutlicht.
    Kein anderes Land weltweit betreibt die Neutralität
wie die Schweiz. Die Eidgenossen haben seit fast 500 Jahren Erfahrung damit,
sie wissen also genau, wie verzwickt es ist, nicht verwickelt zu werden, nicht
Partei zu ergreifen, zwischen den Stühlen zu sitzen. Oder doch nicht? Die
Schweiz führt mehr Waffen aus als China, hat die weltweit vierthöchste Rate an
privatem Schusswaffenbesitz und gibt mehr für Schwerter als für Pflugscharen
aus. Bewaffnete Neutralität ist ein durch und durch schweizerisches Konzept,
das sowohl das Land selbst wie seine Beziehungen zur Außenwelt definiert. Und es
erfreut sich bei den Eidgenossen nach wie vor großer Beliebtheit, denn Umfragen
zeigen durchgängig, dass die Armee wie auch die Neutralität als unverzichtbar
gelten. Das überrascht kaum, wenn man bedenkt, dass die Armee als wichtiges
Bindeglied im Land des Kantönligeists fungiert, während die Neutralität
wesentlicher Teil der nationalen Identität ist.
    2008 erklärte Ueli Maurer – er
war gerade Vorsteher des Eidgenössischen
Departements für

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