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Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Titel: Der Schwimmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zsuzsa Bánk
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Wäscheleine und schauten zu, wie sie sich im Wind bewegten. Wir zerrten Kleider und Strümpfe und Mützen aus den Taschen, wir zogen sie über, wir rannten verkleidet durch den Garten, bis Zoltán fragte, wer sind diese Leute? Manchmal lief Isti durchs Dorf, mit einer Jacke, die bis zu seinen Knien reichte, oder er zog Schuhe an, in denen er aussah wie ein Clown. Als man ihn auslachte, weil er mit Stock und Hut ging wie ein alter Mann, hörte er auf, sich zu verkleiden, und mein Vater brachte keine Koffer mehr mit, die niemand zu vermissen schien.

    Wir blieben lange am See, länger als einen Sommer, aber was soll das schon heißen, was soll das schon sein in unserer Zeitrechnung, bei unserer Geschwindigkeit: lange. Ich weiß nicht, vielleicht kommt es mir nur so vor, weil der See der einzige Ort war, an dem wir nicht zum Bahnhof gingen, um nach den Abfahrtszeiten der Züge zu schauen. Wir vergaßen sie. Wir vergaßen die Züge, die uns wegbringen konnten, und mit ihnen das ganze Schienennetz, das unser Land überzog. Wir vergaßen sogar, daß es für uns eine Zeit gegeben hatte, in der wir an Zugstationen Zahlenreihen gelesen und uns gemerkt hatten, im Glauben, es könne uns retten, vor was auch immer. Wenn man uns von hier weggeschickt hätte, wenn man gesagt hätte, es ist Zeit, die Koffer zu packen, über die Hügel hinunter zum See zu laufen, das Schiff zu nehmen, übers Wasser, zurück nach Siófok, und in einen Zug zu steigen, wenn man von uns verlangt hätte, etwas zum Abschied zu sagen, etwa: danke, bis bald, wir schreiben, bestimmt, etwas in dieser Art, ich hätte gewußt, ich würde zurückkehren, irgendwann. Wegen der Sandbänke, wegen der Dachluke über unseren Köpfen, wegen der Wäscheleine, die den Himmel zerteilte. Ich würde zurückkehren, um mich ins Wasser fallen zu lassen, von einer Mauer, von einem Sprungbrett, von einem Boot, um hinabzutauchen und unter Wasser zu bleiben, so lange die Luft reichte. Ich würde zurückkehren, um Isti dabei zuzusehen, wie er ins Wasser springt, immer und immer wieder, ohne zu ermüden, und wie er schwimmt, bis ihm der Atem ausgeht - oder länger.

    Warum sind wir nicht am See?, fragte Isti später, wenn wir anderswo waren, wenn wir Winter in der Stadt verbrachten und Sommer auf dem Land, in einem anderen Winkel, weit entfernt von allem, was uns gefallen hatte. Es kamen Sommer, in denen wir jede Woche unsere Sachen packten, weil man uns nicht mehr wollte, weil wir lästig, zu laut, zu leise, zu wenig oder zu viel waren, und Isti und ich, wir bedauerten es nicht, wenn wir aufbrachen, wir störten uns nicht daran, wenn wir abfuhren, vielleicht, weil wir dachten, an einem anderen Ort würde es besser sein. Bewegten wir uns, dann bewegte sich, drehte sich auch unsere Welt weiter, und wir glaubten, sie könne in einem Augenblick zum Stehen kommen, in dem wir es wünschten. Jedenfalls dachten wir das eine Weile, und ich bin nicht sicher, ob vielleicht Ági schuld daran hatte, weil sie uns diese Geschichten erzählte, die so ausgingen, wie es am besten war.

    Wir gingen zur Schule, verließen die Schule wieder, holten Bücher, gaben sie zurück, merkten uns Wege, Türen, Namen, Gesichter und vergaßen sie, sobald wir abreisten. Unser Vater kaufte feste Schuhe für mich und eine Tasche mit zwei Schnallen für Isti, aber es kümmerte ihn nicht, ob wir etwas lernten oder nicht, und wenn wir sagten, wir müßten aber, fragte er uns, für was? Selbst hier am See, wenn Ági ihm vorwarf, er ziehe seine Kinder schlimmer auf als ein Zigeuner, jeder Zigeuner sorge sich mehr um seine Kinder, zuckte mein Vater mit den Schultern, stieß den Stuhl weg, auf den er seine Füße gelegt hatte, stand auf und blies Ági Rauch ins Gesicht. Ich habe nie verstanden, warum wir nicht geblieben waren, an irgendeinem Ort, warum mein Vater nicht ein Haus bezogen, warum er keinen Garten bestellt hatte, warum er nicht, wie alle anderen, wie jeder, dem wir begegneten, den wir kannten, einfach irgendwo geblieben war und gesagt hatte, hier leben wir.

    Das einzige Gefühl, das mich in diesen Zeiten nicht verließ, ganz gleich, was mit uns geschah oder wo und bei wem wir waren, war meine Angst um Isti. Sie war wie eine Sicherheit, diese Angst, wie etwas, das nicht verlorengehen konnte, vielleicht, weil es sonst nichts gab, das mir sicher war, nichts, von dem ich wußte, es gehört zu mir und wird bleiben. Seit dem Herbst, in dem meine Mutter in einen Zug gestiegen war, seit Isti Stunden und Tage damit

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