Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Titel: Der Schwimmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zsuzsa Bánk
Vom Netzwerk:
stellten sich vor den Spiegel, der jetzt langsam beschlug, standen so eine Weile, ohne etwas zu sagen, und schauten sich in diesem Ausschnitt an, der kleiner und kleiner wurde, Schulter an Schulter, Kopf an Kopf.

    Als meine Mutter sich nach diesem Tag, an dem nichts weiter geschah, was sich ihr hätte einprägen können, der ihr aber trotzdem in Erinnerung blieb wie kein anderer Tag ihres Lebens, als sie sich am Abend dieses Tages auf ihr Bett legte, war sie erschöpft und ruhelos und konnte nicht einschlafen. Vali zog ihr die schmutzigen Schuhe aus und stellte sie auf Zeitungspapier neben die Tür, neben Valis neues Paar Schuhe, rollte ihre Strümpfe von den Beinen, legte sie auf das Bettende und deckte ihre nackten Füße zu. Sie schob meiner Mutter ein Kissen in den Nacken, löste die Spangen aus ihrem Haar, strich über ihren Kopf und setzte sich neben sie, um ihr ins Ohr zu flüstern, wir sind da, Kata Ringlos, wir sind im Westen.

    Dann stand sie auf, ging zwei Schritte, auf das kleine Barackenfenster zu. Siehst du, das ist der Westen, sagte Vali und zeigte hinaus, auf einen Teil des Hofes, den man von hier aus sehen konnte, auf die nächste Baracke und das bißchen Himmel darüber, das sich schon am Nachmittag schwarz gefärbt hatte. Meine Mutter nickte Vali zu und wiederholte wie ein Schulmädchen, ja, wir sind da, das ist der Westen, legte sich auf die Seite, mit dem Gesicht zur Wand, und hüllte sich so in die Decke, daß Vali sie nicht mehr sehen konnte.

Árpi.
    Máté Páls Bruder Árpád kam nach wenigen Wochen im Lager an, und Pál umarmte ihn draußen im Regen ohne ein Wort, dort, wo der Bus gehalten hatte, unter dem Licht einer Straßenlaterne, neben den anderen, die ausstiegen, um sich schauten und niemanden hatten, der auf sie wartete, der sie empfing. Seit dem frühen Morgen hatten meine Mutter und Vali neben Pál unter einem Schirm gestanden und auf diesen Bus gewartet, der denselben Weg gefahren war wie an den Tagen und Wochen zuvor und der sich trotz des Wetters kaum verspätet hatte. Sie hatten versucht, Pál ein wenig aufzumuntern, ihm die Angst zu nehmen, von der sie geglaubt hatten, über Nacht habe sie Páls Stimme und Verstand geraubt, die Angst, sein Bruder könne nicht in diesem Bus sitzen, auch im nächsten nicht, in keinem mehr.

    Es war ihnen nicht gelungen, die Zeit zu verscheuchen, die ihnen an diesem Morgen nutzlos und lästig erschienen war, wie etwas, das man loswerden, das man abstreifen möchte. Vali und meine Mutter hatten Pál mit Witzen aufheitern wollen, aber mehr als zwei hatten sie nicht gekannt, und auch diese hatten sie kaum erzählen können, weil ihnen das, was den Witz witzig gemacht hätte, nicht mehr eingefallen war. Sie hatten angefangen zu singen, Lieder, die sie aus ihrer Mädchenzeit kannten, waren unter dem Schirm zwei Schritte nach rechts, zwei Schritte nach links gegangen, als wollten sie einen Tanz aufführen, mit Pál in ihrer Mitte, und irgendwann hatten sie Pál doch ein Lächeln abgerungen, das aber nur zu sehen gewesen war, weil Vali sehr genau hingeschaut hatte.

    Als der Bus in die Straße eingebogen war, hatte sich das Licht der Laterne verändert. Es sah aus, als sei es tiefer geworden, stärker, dieses Gelb, aber vielleicht war es auch nur Páls Gesicht gewesen, das blasser geworden war. Der Bus hatte gehalten, Vali und meine Mutter waren zur Seite getreten, und als Pál seinen Bruder umarmte, standen sie daneben, unter dem Schirm, und hörten ein Geräusch, fast wie ein Wimmern, ohne sagen zu können, von welchem der beiden Männer es kam, ob überhaupt von ihnen.

    Pál umschlang seinen Bruder und hielt ihn, fuhr mit den Händen durch sein Haar, das jetzt naß wurde vom Regen, faßte ihn an den Schultern, setzte an zum Reden, konnte aber nichts sagen und wischte sich mit dem Ärmel seines Mantels übers Gesicht, immer wieder. Er holte ein helles Stofftaschentuch aus seiner Hosentasche, rang eine Weile mit dem Weinen und dem Lachen, hielt seinen Bruder mit beiden Armen von sich, um ihn gleich wieder an sich zu drücken. Er drehte ihn, immer noch draußen im Regen, zu meiner Mutter und zu Vali, die dort, zwei Meter weiter unter ihrem Schirm standen, und er stellte ihn als mein Bruder Árpi vor, und weil es wie eine Einladung klang, nannten meine Mutter und Vali ihn fortan auch so: unser Bruder Árpi.

    Árpi sah anders aus als Pál. Er war blond, nicht dunkel, und kleiner als Pál, schmaler auch. Er trug einen langen Mantel, an dem noch etwas

Weitere Kostenlose Bücher