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Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Der Schwimmer: Roman (German Edition)

Titel: Der Schwimmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zsuzsa Bánk
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ihren Schuhen zu streifen. Irgendwann setzte der Regen aus, und sie versuchte, die Straßenschilder zu lesen, jeden fremden Namen, von dem sie bis dahin nichts gewußt, nichts geahnt hatte, aber es gelang ihr nicht, sich die Namen einzuprägen, die Schilder tauchten zu schnell auf und verschwanden. Sie versuchte, das Gesicht des Fremden zu vergessen, der sie über die Felder gebracht hatte, aber es kehrte zurück, auch in den nächsten Wochen, sobald es dunkel wurde, kehrte es zurück, sobald sie nachts durch ein Geräusch, durch ein Licht aufwachte, war es da. Im Bus stand sie auf, um auf und ab zu gehen, vorbei an den anderen, die rechts und links von ihr schlafend in eine Zukunft fuhren.

    Máté Pál hielt meine Mutter am Ärmel fest und flüsterte ihr zu, sie solle sich nicht sorgen, nicht ängstigen, schließlich habe er seine letzte Nacht im Hotel Európa in Budapest verbracht, und wenn dies kein gutes Omen sei, was dann? Meine Mutter antwortete, sie ängstige sich nicht, nicht ein bißchen, und glitt neben Vali, die unter einer Decke schlief, zurück auf ihren Sitz, lehnte den Kopf an Valis Schulter und versuchte, nicht mehr zu frieren, und später, fast schon am nächsten Morgen, entdeckte sie im Mond etwas, das sie bisher nicht hatte in ihm sehen können.

    Einen Wechsel von Nacht zu Tag gab es nicht, bloß einen Wechsel von Schwarz zu Grau, und seit es am Morgen grau geworden war, starrte meine Mutter auf den Asphalt, der vorbeischnellte, auf den weißen Streifen, der ihn teilte, auf Häuserdächer, die grau und nicht rot waren wie bei uns, und auf den Regen, der jetzt wieder fiel und der anders aussah als bei uns. Irgendwann, vielleicht in der Mitte des Landes, bog der Bus ab und fuhr langsamer, vorbei an kleinen hellen Häusern, mit Gärten, die aussahen, als habe man sie ausgemessen. Wie bei uns fuhr irgendwo jemand im Regenmantel auf seinem Fahrrad, wartete irgendwo jemand an einer Straße unter seinem Schirm auf einen Bus. Am Rande dieser kleinen Stadt setzte man sie ab, vor einem Tor mit einem Zaun aus Maschendraht und Baracken aus Holz dahinter. Jemand lief auf sie zu, begrüßte sie, jeden einzelnen, der aus dem Bus stieg, im Namen des Lagers, im Namen der Stadt, und Máté Pál übersetzte. Willkommen, sagte er, willkommen in unserer Stadt, und meine Mutter sah Vali an, und sie fragten sich beide, ob Máté Pál etwas dazudichtete, ob er sich in diesem Augenblick etwas ausdachte, damit es besser, damit es schöner klang.

    Die meisten im Lager hatten ein Dorf verlassen, das nicht viel anders war als Vat, waren über dieselbe Grenze gelaufen, um jetzt in einer dieser Baracken zu sitzen, in einem dieser Zimmer, auf einer der vier Liegen oder an einem kleinen Tisch, auf einem der vier Stühle. Was sie kannten, hatten sie zurückgelassen, und jetzt glaubten sie daran, bald schon zurückzukehren, wenn alles vorbei, wenn alles wieder ruhig war. Wie lange wird es dauern?, fragten sie einander, als sie nach einem kurzen Abschied, an den sie sich immer wieder erinnerten, nach einer Nacht, in der sie über Felder gelaufen waren, und nach einer Reise in einem Bus, der sie weiter weg gebracht hatte, zum ersten Mal wußten, wo sie waren und warum. Zuerst feierten sie, was ihnen gelang, selbst ohne Gläser, ohne Wein, und dann versuchten sie, einander zu beruhigen. Nicht mehr als drei, vier Wochen, sagte einer, würde es dauern, und sie könnten zurück, und ein anderer warf ein, vielleicht auch fünf Wochen, aber niemals länger.

    An der Kleiderausgabe gaben sie meiner Mutter und Vali zwei Nachthemden, zwei Röcke, zwei Pullover, und für Vali gab es ein Paar Schuhe dazu, ein Paar gebrauchte Schuhe, weil Vali die richtige Größe hatte. Die Füße meiner Mutter waren zu klein, Schuhe in Größe sechsunddreißig gab es keine, nicht bei dieser Kleiderausgabe, und meine Mutter durfte in den nächsten Tagen gehen und Schuhe kaufen, mit dem Geld, das man ihr gab, und Vali und die anderen im Lager sagten zu ihr, du hast es gut, sie lassen dich neue Schuhe kaufen. Jemand führte sie zu ihrem Zimmer, über einen nassen, glatten Boden, der gerade gewischt worden war, und zusammen mit zwei jungen Frauen aus dem Süden wurden sie in diesem Zimmer untergebracht, in einer von zwölf Baracken. Ihre Mäntel hängten sie in einen Schrank, neben einem Waschbecken mit abgeschlagenen Ecken und einem kleinen Spiegel darüber. Dann ließen sie so lange Wasser ins Becken laufen, bis es heiß wurde, bis Dampf nach oben stieg,

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