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Der Schwur des Maori-Mädchens

Der Schwur des Maori-Mädchens

Titel: Der Schwur des Maori-Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Walden
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Lily - der Engel der Maori
     
    I haere maipea koe i te kainga i a Te Arahori?
      Maori-Spruch, wenn man einen Fremden der Lüge bezichtigen will; heißt übersetzt so viel wie:
    Bist du über den Lügenpfad (Te Arahori) zu uns gelangt?
     
     

Whangarei, Februar 1920
     
    Vivian wohnte nun schon fast eine Woche bei Matui. Er hatte zu ihrer großen Verwunderung nicht ein einziges Mal nachgefragt, warum sie allein auf den Berg zurückgekommen war. Nein, er hatte sich nicht nach Freds Verbleib erkundigt, sondern weitererzählt, als wäre nichts geschehen. Abgesehen von der Traurigkeit, die Makeres Schicksal in ihr ausgelöst hatte, fühlte sie sich wohl auf dem Berg. Ihr war so, als sei sie hier oben in einer magischen Welt gefangen, die ihr Kraft verlieh. Sie wollte gar nicht fort. Immer wenn sie zum Aussichtspunkt ging, um den Blick über Whangarei schweifen zu lassen, spürte sie deutlich, dass sie dort unten nicht zu Hause sein konnte, bevor sie alles erfahren hatte. Aber auch London war weit, weit weg. Sie konnte sich schwerlich vorstellen, in nicht allzu ferner Zukunft wieder in das geschäftige Leben der großen Stadt einzutauchen. Vor allem, da sie inzwischen nahezu die Gewissheit besaß, dass ihre Ahnen keine Geringeren waren als Matui und Makere, dass in ihren Adern Maori-Blut floss und dieses Land, auf dem sie stand, auch ihr Land war. Natürlich war sie gespannt darauf zu erfahren, was mit dem Baby geschehen war. Doch sie fragte ihn nicht. Sie brauchte ihn auch nicht mehr zu fragen, ob er jener Matui aus der Geschichte war. Sie wusste es. Wie alt er auch war und ob es an ein Wunder grenzte, dieser alte Mann war Matui Hone Heke, der Ziehsohn von Reverend Walter Carrington. Und Vivian konnte, nach allem, was sie inzwischen über diesen Mann erfahren hatte, nur allzu gut verstehen, dass Matui es nicht ertrug, wenn diesem Mann vor der Kirche ein Denkmal gesetzt würde.
      Das alles ging ihr durch den Kopf, während sie auf der Veranda in einem alten Schaukelstuhl saß und vor sich hin döste. Die Mittagshitze brannte hier oben besonders heftig auf die Köpfe hernieder, sodass jede Bewegung anstrengend war. Matui zog sich um diese Zeit stets in sein Haus zurück und machte einen Mittagsschlaf, während sie die Ruhe an der frischen Luft bevorzugte. Dabei leistete ihr häufig der Hund Gesellschaft, der, wie sie inzwischen wusste, jener alten Maori gehörte, die sie gleichbleibend freundlich anlächelte, aber kein Wort Englisch verstand. Sie gehörte wie Matui zu einigen der Letzten, die überhaupt noch auf dem Parahaki lebten. Matui hatte ihr erzählt, dass man in Whan-garei darauf wartete, bis der Letzte von ihnen bei den Ahnen war, um das Gelände für andere Zwecke zu nutzen. Sie freute sich, als sie an ihrer Hand etwas Weiches, Warmes verspürte. Es war der Hund, der ihre Aufmerksamkeit verlangte. Inbrünstig streichelte sie ihm über das dichte Fell.
      Doch selbst das war ihr zu anstrengend, sodass sie ihre Hand fortzog und mit geschlossenen Augen weiterträumte. Auch dem Hund schien die Hitze zu missfallen, denn er hechelte nun unüberhörbar und verkroch sich unter einem Stuhl.
      Plötzlich wanderten ihre Gedanken zu Fred, und sie empfand keine Bitterkeit mehr. Im Gegenteil, sie konnte inzwischen sogar verstehen, dass er sein angenehmes Leben nicht so einfach von heute auf morgen hatte aufgeben wollen. Sie verspürte auch keinerlei Groll auf ihn, weil er im Gegensatz zu ihr in Wohlstand groß geworden war. Der Preis war zu hoch, als dass sie hätte mit ihm tauschen mögen. Niemals würde sie in diesem undurchsichtigen Gewirr aus Lügen leben wollen. Welch ein Geschenk des Lebens, das ihr doch durch Matui zuteilwurde, weil er ihr die ganze Wahrheit sagte! Die einzige Sorge, die sie seit einigen Nächten quälte, war die, ob sie wirklich wieder nach London zurückkehren sollte. Der Gedanke, das nächste Schiff zu besteigen, lag ihr jedenfalls ferner denn je. Sie hatte ein paarmal geträumt, dass sie bereits auf einem Dampfer unterwegs nach Hause gewesen war, doch im Hafen von Auckland von Bord gesprungen und wohlbehalten in dem unglaublich grünen Wasser gelandet war. Unwillkürlich lächelte sie in sich hinein, doch dann wurde sie wieder ernst. Aber was sollte sie hier allein? Denn dass sie niemals in das Haus des Bischofs zurückkehren würde, war das Einzige, was sie sicher wusste. Sie stieß einen tiefen Seufzer aus.
      »So schwer?«, fragte eine Stimme, die Vivian entfernt bekannt vorkam und die

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