Der Schwur des Maori-Mädchens
sie aus ihren Gedanken riss. Sie schreckte hoch und blickte in das verlegen grinsende Gesicht von Ben Schneider.
»Na, Sie haben ja vielleicht Mut, sich herzuwagen, nach allem, was Sie sich geleistet haben«, fauchte Vivian ihn an.
Sein Grinsen verschwand und wich der Verlegenheit. Er trat von einem Fuß auf den anderen.
»Hat es Ihnen die Sprache verschlagen? Sie sind doch sonst mit ihrem Mundwerk immer ganz vorn«, setzte sie bissig hinzu.
»Ich wollte mich bei Ihnen entschuldigen und möchte Sie zur Versöhnung zu einem kleinen Ausflug nach Russell einladen.«
»Warum? Um mich auszufragen? Über Matui Hone Heke und seine Motive, warum er statt des Bischofs eine Frau geschnitzt hat?«
»Nein«, erwiderte der junge Mann gequält. »Ich will nichts mehr davon wissen. Ich habe meinem Vater klipp und klar gesagt, dass ich nichts mehr über den Alten schreiben werde, weil es nichts zu berichten gibt.«
»haere maipea koe i te kainga i a Te Arahori?«, ertönte Matuis spöttische Stimme.
Ben sah den Maori, der nun auf die Veranda getreten war, mit großen Augen an und antwortete ihm etwas auf Maori. Dabei sprach er mit Händen und Füßen und rollte gefährlich die Augen.
Vivians Blicke wanderten neugierig zwischen den beiden hin und her.
»Darf ich auch erfahren, wovon die Herren reden?«
»Er glaubt, ich spreche mit doppelter Zunge, aber das stimmt nicht. Nach dem Zwischenfall im Hotel musste ich mich entscheiden: Will ich die Geschichte oder eine weitere Verabredung mit Ihnen? Und da habe ich mich doch für Letzteres entschieden.«
»Und das soll ich Ihnen glauben? Sie haben mich verfolgt, Sie haben versucht, mich auszuhorchen, Sie haben mich belogen, dass Sie zufällig in Whangarei seien. Dabei hat Sie Ihr Vater, der Verleger, geschickt.«
Ben warf Matui einen flehenden Blick zu und sprach ihn noch einmal auf den Maori an. Der Alte rollte die Augen und verkündete versöhnlich: »Vivian, er sagt die Wahrheit. Jedenfalls dieses Mal.«
»Woher willst du das wissen?«
»Er hat bei seinen Ahnen geschworen«, knurrte Matui und verschwand im Haus.
»Und was heißt das?«, hakte Vivian nach.
»Dass ich mich hüten würde, meine Ahnen zu zitieren, um in ihrem Namen zu lügen.«
Vivian stöhnte auf. »Ja und? Was ändert das? Meinen Sie, das genügt, um mich davon zu überzeugen, noch einmal mit Ihnen auszugehen?«
Ben räusperte sich verlegen. »Ich will Sie ja gar nicht zu einem Essen einladen oder so. Ich dachte, Sie wollen später einmal Reporterin werden, und nun ist in Russell eine teilweise mumifizierte Leiche gefunden worden. Und da dachte ich, vielleicht hätten Sie Lust, mich dorthin zu begleiten. So kann ich meinem Vater wenigstens etwas bieten.«
Vivians Augen begannen zu leuchten. »Das ist natürlich etwas völlig anderes.« Und schon war sie aufgesprungen. »Ich sage nur Matui Bescheid.« Dass sie sich auch noch umziehen würde, verschwieg sie ihm.
Der alte Maori war gar nicht begeistert, als sie ihm von ihren Ausflugsplänen berichtete. Dass es sie aus purer Sensationsgier und wegen einer Leiche nach Russell zog, verschwieg sie ihm lieber. Schließlich kannte sie seine Abneigung gegen die Neugier der Zeitungsleute.
»Ich wollte dir eigentlich weitererzählen«, sagte er mit einem beleidigten Unterton.
»Das kannst du doch heute Abend nachholen. Es ist eine einmalige Gelegenheit, dass ich mir ein eigenes Bild von der Bay of Islands machen kann. Ach, Matui, ich will die Bucht doch endlich mit eigenen Augen sehen.« Vivian hatte vor Aufregung gerötete Wangen bekommen.
»Meinetwegen, aber ich kann dir nicht versprechen, dass ich dann noch Lust habe, dir weiterzuerzählen.« Er klang gekränkt.
»Ach, Onkel Matui!«, lachte sie und küsste ihn übermütig auf beide Wangen.
Er war so überrascht von ihrer stürmischen Zärtlichkeit, dass er sich ein Lachen nicht verbeißen konnte.
»Tamakine, dazu bin ich dann doch wirklich zu alt. Ich meine nicht für den Kuss, aber für den Onkel. Da liegen doch ein paar Generationen mehr zwischen uns ...«
»Also gibst du zu, dass ich mit dir verwandt bin.«
»Na, wenn du das noch nicht gemerkt hast ... Du siehst aus wie sie, du lachst wie sie ...« Er stockte.
»... aber ich werde ein glücklicheres Leben führen. Das verspreche ich dir. Und ich werde mich auch nicht von dem schrecklichen Bischof ins Verderben stürzen lassen, der von seiner unmenschlichen Art
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