Der Schwur des Maori-Mädchens
Er beugte sich über sie und hauchte: »Du bist so wunderschön.«
Vivian lächelte und stellte zu ihrer Befriedigung fest, dass Fred erneut mehr als bereit war, in sie einzudringen.
»Komm!«, stöhnte sie heiser und zog ihn zu sich herunter.
Mangawhai, Januar 1884
Lily war gerade dabei, frische Kräutertinkturen herzustellen, als sie jemanden schreien hörte.
»Misses Ngata, kommen Sie schnell!«
Lily ließ alles stehen und liegen und rannte nach draußen. Dort traf sie auf einen wild gestikulierenden jungen Maori, der vor Aufregung kaum sprechen konnte.
»Was ist geschehen?«, fragte sie betont ruhig.
Der Maori rang noch ein paarmal nach Luft, bevor er sie bat, zu einem Unfallort mitzukommen.
»Das Pferd ist durchgegangen, die Kutsche ist verunglückt«, versuchte der junge Mann ihr zu erklären, während seine Stimme überschnappte.
Lily zögerte. Sie ging nie allein zu den Patienten, sondern ausschließlich gemeinsam mit ihrem Mann, nur der war unterwegs. Aber sollte sie deshalb ihre Hilfe verweigern? Nein, Lily eilte in die Praxis zurück und packte ein, was sie zur Wundversorgung benötigte. Dann folgte sie dem Maori ein ganzes Stück aus dem Ort hinaus zu einem holprigen, unbefestigten Weg in Strandnähe.
Sie erschrak, als sie von Weitem die verunglückte Kutsche sah. Es war genau so eine wie jene, mit der Tamati sich in die abgelegenen Orte fahren ließ, seit er einmal vom Pferd gefallen war und wegen seiner Rückenschmerzen nicht mehr reiten konnte.
Trotzdem beschleunigte sie ihren Schritt, während sie sich einredete, dass die Kutschen einander doch alle glichen. Dass dies nur ihrer Beruhigung diente, musste sie feststellen, als sie bei dem am Boden liegenden Kutscher angekommen war. Das war zweifelsohne James McDuffie, ein irischer Einwanderer, der ihren Mann zu den Patienten kutschierte. Er lag merkwürdig verrenkt da und stöhnte leise vor sich hin.
»Holen Sie eine andere Kutsche aus Mangawhai! Er kann nicht gehen«, befahl sie dem Maori, während sie das Bein des Kutschers betastete und sofort erkannte, dass es gebrochen war. »Mein Mann wird es sich ansehen, wenn er ...« Lily stockte. Erst in diesem Augenblick wurde ihr bewusst, dass es wirklich jene Kutsche war, mit der Tamati seine Krankenbesuche machte.
Wie betäubt stand sie auf und wankte zu dem Wagen, der auf der Seite lag. Sie schaffte es, hinaufzuklettern und die klemmende Tür zu öffnen. Als sie Tamati leblos und in seinem Blut entdeckte, wurde ihr schwindelig. Sie verlor das Gleichgewicht und stürzte zu Boden.
Lily erwachte Stunden später in ihrem Bett und blickte als Erstes in Matuis besorgtes Gesicht.
»Wo ist Tamati?«, stöhnte sie und fasste sich an den schmerzenden Kopf.
»Er liegt im Behandlungszimmer.«
»Gott sei Dank, er lebt. Und ich benehme mich so ungeschickt, statt ihm zu helfen.«
Matui biss sich auf die Lippen.
»Du hast ein Loch im Kopf. Du darfst dich nicht aufregen.«
»Aber ich will zu ihm.«
»Das geht jetzt nicht. Er schläft«, seufzte Matui und senkte den Blick.
»Du verbirgst doch etwas vor mir. Was hat er? Ich kann doch hier nicht tatenlos herumliegen. Ich muss ihm helfen.« Ehe sich's Matui versah, war Lily aus dem Bett gesprungen und zum Behandlungszimmer geeilt. In der Tür blieb sie wie angewurzelt stehen. Tamati lag auf der Liege. Nirgendwo war Blut zu sehen, und er schien zu lächeln. Lily brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, dass ihr über alles geliebter Mann nie mehr aufwachen würde. Mit einem Aufschrei stürzte sie zu ihm. Sie jammerte, schrie, fluchte und weinte, bis sie Matui leise sagen hörte: »Er ist bei den Ahnen.«
Lily verstummte und wandte sich zu ihm um. »Jetzt habe ich nur noch dich«, stieß sie heiser hervor.
Und deinen Sohn, dachte Matui, doch er sprach es nicht aus, sondern fasste im Stillen einen Plan. Er brachte Lily in ihr Bett zurück und setzte sich an seinen Schreibtisch. Seit vier Jahren lebte er in diesem Haus. Und seitdem hatte er mit Lily gelitten, wenn ihre Briefe an Peter zurückgekommen waren. Jetzt würde er die Sache in die Hand nehmen. Nun gab es keine Hindernisse mehr, warum die beiden nicht Zusammenkommen sollten. Der Junge war achtzehn und gehörte endlich zu seiner Mutter.
Matui nahm mehrere Anläufe, bevor er die richtigen Worte fand. Unverblümt und direkt bat er den Jungen, nach Manga-whai zu kommen, weil es seiner Mutter sehr schlecht gehe.
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