Der Schwur des Maori-Mädchens
Blick zuwarf, grübelte sie darüber nach, warum Fred sich ihr gegenüber so nett benahm. Und damit nicht nur den Unmut seiner Mutter auf sich zog, sondern auch den seiner Braut.
Mit gestrafften Schultern kehrte sie schließlich zurück und setzte sich an den Tisch, als wäre nichts geschehen, doch offensichtlich wollte man es nicht dabei belassen.
»Vivian! Folge mir sofort in mein Arbeitszimmer!«, befahl der Bischof und sprang von seinem Stuhl auf. Er war hochrot im Gesicht.
Vivian zögerte, doch dann folgte sie murrend seiner Anweisung. Sie hatte immer noch nichts gegessen und war hungrig. Der Bischof hatte sich in den riesigen Ledersessel hinter den Schreibtisch gesetzt und funkelte sie wütend an. Wie ein Rächer saß er dort. Wie kommt er eigentlich dazu, sich als mein Erzieher aufzuspielen?, durchfuhr es Vivian erbost.
»Du bist ein aufsässiges Menschenkind. Wie konntest du das nur tun? Dein schönes Haar abzuschneiden?«, tadelte er sie.
»Die jungen Frauen in London und ganz Europa werden das bald alle so tragen«, erwiderte sie trotzig.
»Wir sind aber nicht in London, sondern in Neuseeland. Und du bist nicht volljährig. Du brauchst für alles die Erlaubnis deines Vaters«, gab er ungerührt zurück.
»Mister Newman, ich hätte bestimmt das eine oder andere Mal in meinem Leben einen Vater gebraucht. Jetzt ist es zu spät. Ich bin erwachsen.«
»Das bist du nicht. Und es ist mir ein Rätsel, wie deine Mutter es zulassen konnte, dass du Erwachsenen gegenüber dermaßen renitent bist. Aber nun bist du einmal hier, und in diesem Haus entscheide ich. Du wirst nicht mit nach Whangarei fahren. Ich will ein Auge auf dich haben und dich erst einmal anständig erziehen. Hörst du? Und du wirst es meinem Sohn als deine freiwillige Entscheidung unterbreiten. Wenn ich mich einmische, wird ihn das erzürnen, und er wird behaupten, ich würde dich schlecht behandeln.«
Vivian lachte laut auf. »Und - tun Sie das denn nicht?«
»Ich rate dir gut, zügle dein freches Mundwerk und tu, was ich von dir verlange. Teil ihm mit, dass du es dir noch einmal überlegt hast. Ich hätte dem gar nicht nachgeben sollen, aber gestern hatte ich nur den einen Wunsch ...«
»Ich weiß, mich so schnell wie möglich loszuwerden. Das beruht auf Gegenseitigkeit, ich möchte lieber bei Fred sein als bei Ihnen. Wenn Sie es mir nachträglich verbieten wollen, dann stehen Sie doch dazu. Oder gehören Lügen in diesem christlichen Haus zum guten Ton?«
Vivian hatte ihren Satz gerade beendet, als sie einen heißen Schmerz an der rechten Wange fühlte. Der Bischof war aufgesprungen und hatte ihr eine Ohrfeige verpasst. Sie starrte ihn ungläubig an. Noch nie in ihrem Leben hatte sie jemand geschlagen.
Peter Newman blickte entsetzt auf seine Hand, als gehöre sie nicht zu ihm. Dann ließ er sich in seinen Ledersessel zurückfallen und schlug die Hände vor das Gesicht. Er schämte sich, so tief gesunken zu sein und sogar vor Schlägen nicht zurückzuschrecken, nur um sein Lügengebilde aufrechtzuerhalten, das er sein Leben nannte. Denn er hatte schon wieder nicht die Wahrheit gesprochen. Es gab einen anderen, einen viel triftigeren Grund, seiner Tochter die Reise zu verbieten. Leider war ihm das erst eingefallen, nachdem er ihr die Erlaubnis bereits erteilt hatte. Er fürchtete ihren unbeugsamen Willen und traute ihr durchaus zu, dass sie, wenn der Alte plauderte, es nicht für sich behielt und gegen ihn verwendete. Fred würde sich im Ernstfall zurückpfeifen lassen, Isabel würde Frederik zuliebe schweigen, aber würde Vivian wirklich ihren Mund halten, wenn sie die Wahrheit erfuhr? Nein, sie sann mit Sicherheit nach Rache für das, was er ihrer Mutter angetan hatte. Dessen war sich der Bischof sicher, und das machte ihn nur noch hilfloser. Aber konnte er ihr das wirklich verdenken? Ich darf keine Schwäche zeigen, redete er sich gut zu, hob den Kopf und blickte Vivian strafend an.
»Das war für deine Impertinenz! So etwas dulde ich nicht unter meinem Dach. Dann werde ich ihm eben mitteilen, dass du es dir anders überlegt hast. Hauptsache, du bleibst hier.«
Vivian aber berührte immer noch fassungslos ihre Wange. Wie abgrundtief sie diesen Mann verabscheute! Benommen stand sie auf und verließ sein Zimmer, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen. Sie riss die Haustür auf, um frische Luft zu schnappen. Ihr Entschluss stand fest: In diesem Haus würde sie keinen Augenblick länger
Weitere Kostenlose Bücher