Der Schwur des Maori-Mädchens
bleiben. Dann musste sie eben in ein Waisenheim gehen oder aber in einem Haushalt arbeiten.
Ihr Blick fiel auf den roten Wagen vor der Haustür, und sie näherte sich ihm zögernd. Auf der Ladefläche stand Gepäck. In Vivians Kopf ging alles durcheinander. Wie gern hätte sie Fred begleitet, aber nun musste sie fort. Sie stutzte. Warum sollte sie das eine nicht mit dem anderen verbinden? Wie der Blitz kehrte sie ins Haus zurück, stopfte das Nötigste in ihren kleinsten Koffer, eilte zum Wagen zurück, vergewisserte sich, dass keiner sie dabei beobachtete, kletterte auf die Ladefläche und versteckte sich hinter den Koffern. Tief in ihrem Innern spürte sie, dass diese Reise wichtig für sie war. Ihr Herz pochte wie wild, als sich schließlich Schritte näherten.
»Ich verstehe das nicht. Sie wollte doch so gern mitfahren und hat sich irgendwo im Haus verkrochen. Merkwürdig, Vater behauptet, sie habe es sich anders überlegt. Das kann ich mir nicht vorstellen. So ein Kindskopf ist sie nicht.« Freds Stimme klang besorgt und zweifelnd. Ganz im Gegensatz zu der von Isabel. Die schien erleichtert, dass sie nun doch nicht zu dritt gen Norden aufbrechen mussten.
»Also, ich bin heilfroh, dass dieses kokette Ding nicht mitkommt. Hast du denn gar nicht bemerkt, wie sie dich angeschmachtet hat? So etwas nenne ich frühreif.«
Der Rest ihrer Worte ging in dem lauten Knattern des Motors unter.
Vivian bedauerte zutiefst, dass sie sich ducken musste und auf diese Weise nicht den Hauch eines Blickes auf die vorüberziehende Landschaft werfen konnte. Sie zuckte zusammen, als der Wagen plötzlich anhielt. So lange waren sie doch noch gar nicht gefahren. Jedenfalls war es viel zu früh, um eine Rast einzulegen.
Vivian versuchte, sich noch kleiner zu machen, was ihr kaum gelang. Als der Motor ganz verstummte, hob sie vorsichtig den Kopf, um ihn gleich wieder einzuziehen. Keine Frage, sie waren auf einem Bahnhofsvorplatz angekommen. Warum?, fragte sie sich, doch dann erhielt sie die Antwort. Fred hievte einen Koffer von der Ladefläche, und zwar genau jenen Koffer, hinter dem Vivian sich versteckt hielt.
Entgeistert starrte er sie an. »Sie? Ich dachte, Sie hätten es sich anders überlegt?«
»Nein, der Bischof wollte es mir verbieten, Sie zu begleiten, und ich ...«
»Dann sollten Sie ihm gehorchen«, mischte sich Isabel ein, die ebenfalls an die Ladefläche getreten war und Vivian wie einen Geist anstierte.
Vivian beachtete Isabel aber gar nicht, sondern wandte sich flehend an Fred. »Ich sollte Ihnen erzählen, dass ich mich gegen die Reise entschieden hätte, aber das ist nicht wahr. Ich möchte Sie doch so gern begleiten.«
Während Vivian diese Worte ausstieß, kletterte sie von der Ladefläche. Fred reichte ihr die Hand, um ihr herunterzuhelfen. Sie ergriff sie dankbar und war mit einem Satz vom Wagen gesprungen.
»Kann ich dich bitte einmal unter vier Augen sprechen?«, bat Isabel daraufhin Fred in scharfem Ton und zog ihn am Ärmel ein Stück vom Wagen fort.
Vivian konnte trotzdem jedes Wort verstehen, weil Isabel sich lautstark in Rage redete.
»Frederik, du befiehlst dieser Person auf der Stelle, dass sie nach Parnell in das Haus deines Vaters zurückkehrt. Ich dulde nicht, dass du dich mit ihr gegen ihn verbündest.«
Nun erhob auch Fred seine Stimme, sodass Vivian ihn problemlos hören konnte.
»Isabel, bitte, lass das meine Sorge sein. Ich bin erwachsen und weiß selbst, was ich zu tun und zu lassen habe. Und ich werde sie wie versprochen mitnehmen. Schließlich habe ich meinen Vater gefragt, und er hat es erlaubt.«
»Aber nun hat er es sich anders überlegt, und ich kann mir gut vorstellen, aus welchem Grund. Wahrscheinlich will er ihr endlich Benehmen beibringen. Merkst du nicht, wie du dich zum Narren machst, wenn du dich vor sie stellst? Aber damit kommst du nicht durch. Du musst dich entscheiden. Sie oder ich!«
»Wie darf ich das verstehen?«
»Genau, wie ich es sage. Wenn du kein Machtwort sprichst und dieses unerzogene Gör nicht augenblicklich nach Parnell zurückschickst, dann werde ich es für dich tun.«
Vivian kämpfte mit sich. Sie wollte nichts lieber, als mit nach Whangarei reisen, aber sie hatte mit ihrer Anwesenheit schon viel zu viel Unfrieden gestiftet. Sie wollte nicht schuld daran sein, wenn Fred sich mit seiner Verlobten überwarf, obwohl diese Frau ihrer Meinung nach ganz und gar nicht zu ihm passte.
»Lass
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