Der Schwur des Maori-Mädchens
fast alle überragte. Er trug als Einziger einen Federmantel, während seine Männer einheitlich ihren Kilt aus Flachs anhatten. Matthew kam sich in seinem Sonntagsanzug völlig deplatziert vor. Hone Heke musterte ihn durchdringend, aber freundlich.
»Hier ist deine Familie«, sagte der Häuptling schmeichelnd, und er wiederholte: » Tama.«
»Aber ... aber mein Stamm ist ausgerottet«, widersprach Matthew schwach.
»Keiner kann unsere Stämme je ausrotten, und meine Frau Hariata ist mit deinen Ahnen verwandt. Also gehörst du zu uns und nicht zu den Missionaren, die Lügen über mich verbreiten«, erwiderte der Häuptling in bestem Englisch.
Matthew schluckte trocken. Es hatte ihn unweigerlich hergezogen, aber nun wurde ihm zunehmend mulmig zumute. War es nicht doch Hass, der aus diesem stolzen Mann sprach? Auch wenn es immer hieß, Hone Heke sei den Missionaren zugetan und wirke unter den Maori wie ein Missionar für den christlichen Glauben?
»Aber man erzählt sich doch überall, du seist selbst ein Christ«, hörte sich Matthew da bereits sagen. Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, erschrak er, weil er sich so mit dem Häuptling zu reden traute. Schließlich war bekannt, dass der große Hone Heke keine Widerworte duldete. In dem Punkt ist er genau wie mein Ziehvater, schoss es Matthew flüchtig durch den Kopf.
Hone Heke musterte ihn spöttisch, bevor er in dröhnendes Gelächter ausbrach.
»Wie heißt du, mein Sohn?«, fragte er glucksend.
»Matthew«, entgegnete dieser verwirrt.
Wieder lachte der Maori-Häuptling aus voller Kehle. »Hört, hört! Er heißt Matthew. Wer von euch hat schon einmal von einem Maori mit dem Namen Matthew gehört?«
Einige der Männer lachten wissend mit, während die anderen, die der englischen Sprache nicht mächtig waren, nur mit einstimmten, weil ihr Häuptling es ihnen vormachte.
Matthew lief rot an. Das war selbst bei seiner dunklen Haut noch zu erkennen.
»Mein richtiger Name ist Matui.«
Hone Heke wurde auf einen Schlag wieder ernst. »Matui ist ein stolzer Name.«
Matthew straffte die Schultern. »Mein Vater war Häuptling der Wakatui.«
»Umso mehr trägst du die Verantwortung, zu deinem Volk zu stehen, Matui.«
Nun konnte Matthew sich nicht länger beherrschen, jene Frage zu stellen, die ihm auf der Zunge brannte, seit er das Kriegsgeschrei gehört hatte.
»Seid ihr hier oben, um den Fahnenmast noch einmal zu zerstören? Das ist Unrecht. Erweist den hereinkommenden Schiffen den Weg. Und sonst gar nichts.«
»Du irrst, mein Sohn, die Fahne der Briten auf diesem Berg ist ein Zeichen ihrer Vorherrschaft. Im Vertrag von Waitangi, den ich reinen Herzens mit unterzeichnet habe, war vorgesehen, dass die Pakeha und wir auf Augenhöhe Zusammenleben. Aber was haben sie getan, kaum dass die Tinte trocken war? Sich unser Volk untertan gemacht. Sie nehmen unser Land in Besitz. Dabei haben sie ein großes Land, das ihnen gehört. Und wo wird einst unser Land sein, wenn sie es Stück für Stück an sich reißen? Sie haben einfach ihre Hauptstadt von hier nach Auckland verlegt, ihr Geld fließt nicht mehr in diese Region, sie haben uns verboten, Kauribäume zu fällen. Meine Leute können immer weniger Handel treiben und werden arm und ärmer, während sich die Pakeha große Häuser bauen. Das ist nicht mehr auf Augenhöhe, mein Sohn. Oder hast du schon einmal erlebt, dass eine Pakeha für uns Maori arbeitet? Aber unsere Mädchen, die stehen in den Diensten der Pakeha oder schlimmer noch - sie verkaufen sich an den weißen Abschaum in Kororareka. Und um zu zeigen, dass wir nicht gewillt sind, länger tatenlos zuzusehen, wie wir zu Sklaven der Pakeha werden, muss ich den Mast zum zweiten Mal fällen. Damit treffe ich sie empfindlich, und nichts anderes ist mein Ziel. Kainga te kiko, whaiho te whenua ki tangata nona.«
Matthew war bei Hone Hekes beschwörenden Worten abwechselnd heiß und kalt geworden. Was hatte er zuletzt gesagt? Wenn man dir erlaubt, auf dem Land anderer zu leben, dann nutz es nach Kräften, aber lass das Land selbst stets seinen wahren Eigentümern. Der Häuptling sprach ihm im Grunde genommen aus dem Herzen. Warum zum Beispiel war ihr Dienstmädchen Ripeka keine Pakeha, sondern eine Maori? Wie oft hatte er ähnlich gedacht. Seinen Unmut allerdings an dem Fahnenmast auszulassen, auf den Gedanken wäre er niemals gekommen. Zumal sein Ziehvater Hone Hekes Tat strengstens als kriegerische
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