Der Schwur des Maori-Mädchens
Häuflein Asche übrig geblieben. Das bedeutete nicht, dass er sich dem Missionar näher verbunden fühlte als sonst. Im Gegenteil, er spürte eine schreckliche Einsamkeit in sich aufsteigen.
»Ich habe dich etwas gefragt, mein Sohn«, sagte Walter streng.
Matthews Antwort war ein furchtbarer Husten. Als das letzte Keuchen verklungen war, krächzte er: »Ich bin gestern früh zu Bett gegangen, weil ich mich schon gleich nach dem Essen schlecht gefühlt habe.« Während Matthew seinem Vater diese faustdicke Lüge auftischte, blickte er an ihm vorbei zur Wand. Er hatte Angst, ansonsten womöglich durchschaut zu werden. Der Missionar pflegte stets zu predigen, dass man einen Lügner zweifelsfrei an den Augen erkennen konnte.
»Na, du biest mir eine Teufelsbrut. Du wagst es, deine Vater und misch zu belügen? Aber es wird dir nischts nutzen, frescher Bengel, ich abe schließlich einen Zeugen.«
»Wen?« Walter wurde bleich.
»Jack Pringle.«
»Jack Pringle?«
»Ja, der alte Knabe war gestern wieder einmal im Otel Korora-reka zu Besuch. Er at da eine feste Mädschen.«
»Du steckst deine Nase wohl unter jede Bettdecke, was? Als du noch nicht in der Mission warst, haben wir zwar keine freundschaftlichen Beziehungen miteinander gepflegt, aber wir haben uns geachtet. Was sagen deine Brüder eigentlich dazu, dass du nichts anderes im Sinn hast, als Unfrieden zu stiften?«
»Du lenkst ab, mon eher Walter, Jack Pringle ist mit dein Sohn zum Anleger gegangen.«
»Matthew, stimmt das?«
Der schüttelte heftig den Kopf.
Walter blickte ratlos von ihm zu Bruder Jean und zurück. »Das lässt sich ja klären«, ließ er schließlich nachdenklich verlauten. »Wir holen ihn her. Es sei denn, mein Sohn, du hast mir noch etwas zu sagen.«
»Ich war nicht in Kororareka, verdammt noch mal!«
»Es wird nicht geflucht in diesem Haus«, wies Walter seinen Ziehsohn scharf zurecht. Dann rief er nach Maggy. Als sie schüchtern ins Zimmer trat, bemerkte Matthew zwar, dass sie verquollene Augen hatte, aber er war so mit sich beschäftigt, dass er sich keine weiteren Gedanken über die Ursachen machte.
»Maggy, tust du mir bitte einen Gefallen? Eilst du hurtig zum Laden von Jack Pringle und bittest ihn herzukommen? Sag ihm, dass wir eine große Bestellung haben. Das lockt ihn bestimmt aus dem Geschäft.«
»Ja, ich werde es ihm ausrichten«, erwiderte Maggy, während sie zu Boden blickte.
In diesem Augenblick betrat Henry das Zimmer. »Vater, ich wollte nur fragen, ob ich das Boot nehmen darf. Ich muss zu den Hobsens. June ...« Er unterbrach sich verlegen, als er Maggy erblickte.
»Ja, nimm es nur, mein Junge, dann kannst du Maggy bis zu Pringles Laden begleiten. Ich habe es nicht gern, wenn sie allein unterwegs ist.«
»Aber ich ... ich muss mich beeilen, ich...«, stammelte Henry.
»Ich gehe schon allein, Vater. Ich muss mir noch einen Mantel anziehen. Das dauert zu lange. Lass Henry ruhig vorgehen.« Maggys Stimme klang ungewöhnlich schrill.
Walter sah die beiden verärgert an. »Ja, kann denn in diesem Hause endlich mal einer das machen, was ich sage? Du wartest auf sie, Henry! Und du beeilst dich, Maggy!«
»Was ist denn hier los?«, fragte Emily, während sie zögernd auf die Menschenansammlung um Matthews Bett zutrat.
»Bruder Jean behauptet, unser Sohn sei gestern Nacht in Koro-rareka gewesen und habe mit dem irrsinnigen Hone gemeinsame Sache gemacht.«
Emily schlug sich vor Schreck die Hände vor das Gesicht. »Aber wie kann er so etwas sagen? Es ist ein Frevel, den dieser Wilde begangen hat. Eine Sünde«, murmelte sie.
»Er behauptet, Jack Pringle könne es bezeugen. Jetzt will ich Henry und Maggy schicken, ihn zu holen, aber sie zieren sich wie die ...«
Emily aber griff blitzschnell nach Maggys Hand und zog sie mit sich zur Tür. »Tut mir leid, Maggy brauche ich im Haus, aber Henry wird den Auftrag sicherlich für dich erledigen.« Und schon war sie an der Seite ihrer Ziehtochter auf den Flur hinausgeeilt.
Walter starrte ihnen entgeistert hinterher.
»Nun geh schon, mein Junge, und hol Jack Pringle endlich her!«, forderte er seinen Sohn ungeduldig auf.
Matthew bekam nichts von dem Gespräch der anderen mit. In seinem Kopf arbeitete es fieberhaft. Wenn ich nur wüsste, wie sich Jack verhalten wird! Wahrscheinlich wird er mich verraten, dachte er entmutigt. Wer belügt schon einen solch frommen Mann wie Walter
Weitere Kostenlose Bücher