Der Schwur des Maori-Mädchens
doch zu schwach zum Rudern. Er kam kaum voran, denn der Wind hatte wieder aufgefrischt und die Richtung gewechselt. Nun wehte er von vorn. Paihia wollte und wollte nicht näher kommen. Matthew wandte sich um und stellte enttäuscht fest, dass er noch nicht viel weiter als bis zur Mitte der Bucht gekommen war. Wenigstens fror er nicht mehr, doch dafür taten ihm die Arme weh, und ihm war übel. Wie er sich nach seinem warmen Bett sehnte! Matthew rang nach Luft und verlangte sich seine letzten Kräfte ab. Völlig außer Atem erreichte er schließlich den Hafen. Er rannte den Weg nach Hause, und als er auf Zehenspitzen über die Türschwelle trat, betete er, dass keiner das Knarren der Dielen hörte.
Er hatte Glück. Es blieb alles still, obwohl die Treppe unter jedem seiner Schritte knarzende Geräusche machte. Bevor er todmüde in sein Bett fiel, versteckte er den Taiaha und den Kilt noch unter seinem Bett. Dann schlief er erschöpft ein und träumte von kriegerischen Tänzen im Feuerschein, und er, Matui, war einer der wildesten Tänzer. Ja, er tanzte am ausgelassensten und sang am lautesten von allen. Bis ein Mensch in Teufelsgestalt ihn an den Haaren fortzerrte. Er sah aber nur aus wie der Teufel. Matthew wusste, wer sich hinter dieser Maske verbarg: sein Ziehvater, der mit unheimlicher Stimme forderte, dass er, Matui, Hone Heke abschwören solle.
Nun fiel seine Frau Emily in die Beschwörungen mit ein, doch ihre Worte verstummten, als Hone Heke mit einer Muskete auf sie anlegte.
Paihia, am nächsten Morgen, Mai 1844
Matthew erwachte von seinem eigenen Husten. Ihm war, als läge ihm ein Stein auf der Brust. O weh, ich hätte mir den Tod holen können, dachte er erschrocken. Ehe er den Gedanken zu Ende führen konnte, hörte er ein kräftiges Pochen unten an der Haustür und wenig später zwei laut streitende Männerstimmen. Die eine gehörte zweifelsohne seinem Vater, aber wer war der andere Mann? Matthew lauschte angestrengt, und als er erkannte, wer da draußen gerade das Wort führte, zog er sich entsetzt die Decke bis zum Hals. So, als könne er sich auf diese Weise verstecken und das Unausweichliche verhindern, doch da ging bereits die Tür auf, und sein Vater steckte den Kopf herein.
»Junge, seit wann schläfst du so lange?«, fragte er vorwurfsvoll und fügte lauernd hinzu: »Liegt es daran, dass du dich heute Nacht in Kororareka herumgetrieben hast?«
»Nein, Vater, es liegt daran, dass ich krank bin«, krächzte Matthew heiser und dankte Gott, dass seine Stimme dabei alles andere als gesund klang.
»Da hörst du es, Bruder Jean, mein Sohn liegt krank im Bett. Wie konntest du nur solchen Unsinn verbreiten, dass er nur mit einem Flachsröckchen bekleidet mitten in der Nacht durch das Sündenbabel gerannt ist?«, rief Walter empört nach draußen, doch da hatte sich der französische Pater bereits an ihm vorbei ins Zimmer gedrängt.
»Das ein schließt die andere nischt aus. Im Gegenteil, es ist nischt gerade der Jahreszeit, barfuß zu laufen«, ätzte er und trat ganz nahe an das Bett heran. »Na, trägst du immer noch den Kilt der Krieger?« Er riss Matthew ohne Vorwarnung die Bettdecke weg.
»Was erlaubst du dir?«, schimpfte Walter. »Du schreckst wohl vor nichts zurück, um mich in Misskredit zu bringen, wie? Und dabei machst du nicht einmal vor solchen lächerlichen Unterstellungen halt. Matthew ist ein Pakeha wie du und ich. Niemals würde er sich vor den Karren dieses wild gewordenen Häuptlings spannen lassen. Du versuchst doch nur wieder gegen unsere Mission zu hetzen.«
Enttäuscht blickte Bruder Jean auf das weiße Nachthemd, das Matthew trug, und wandte sich Walter Carrington zu. »Isch abe ihn mit eigene Augen gesehen. Zweimal ist er mir in die Arme gelaufen.«
Auch Walter trat nun ganz nahe an das Bett heran. Matthew war nur froh, dass das Zittern seines Körpers unter der Decke nicht zu erkennen war.
»Mein Sohn, stimmt das, was Bruder Jean behauptet?«
Matthew zuckte zusammen. Nicht nur die Frage selbst jagte ihm einen Schauer über den Rücken, sondern auch die Tatsache, dass ihn binnen Stunden gleich zwei Männer mein Sohn genannt hatten. Männer, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Und das Schlimme war, dass Matthew in diesem Augenblick nicht hätte sagen können, wem von den beiden er sich mehr zugehörig fühlte. Jedenfalls war von seiner gestrigen rauschhaften Begeisterung für Hone Heke nur noch ein glühendes
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