Der Schwur: Schwerter des Zorns 1 (German Edition)
vollzogen wurde.
Die Hälfte der Lastkähne war bereits unterwegs und glitt flussabwärts, während die Gischt unter ihren Bugsprieten aufschäumte. Plötzlich erhob sich Unruhe auf der Pier. Ein braunhaariger, spindeldürrer Mensch mit einem wehenden, strahlend weißen Bart stürmte an den hohen Kistenstapeln vorbei. Er trug eine grelle, rot-grüne Robe, packte die Leute an den Schultern und gestikulierte wild herum, während er auf sie einredete. Die Hradani betrachteten ihn amüsiert, bis jemand auf ihr Boot zeigte, auf dem die Matrosen gerade ihre Haltetaue über Bord warfen.
Der Kopf des merkwürdig gekleideten Mannes ruckte herum und seine bestürzte Miene wirkte selbst aus dieser Entfernung komisch. Dann machte er auf dem Absatz kehrt und rannte mit einem für sein offenbar recht fortgeschrittenes Alter beachtlichen Tempo die Pier entlang.
»Wartet!« Sein nasaler Ruf war zwar dünn, aber durchdringend. »Wartet! Ich muss …!«
»Zu spät, Weißbart!«, brüllte der Schiffer zurück. Zwischen dem Kahn und der Kaimauer klaffte bereits eine breite Lücke und der Alte schüttelte wütend die Faust. Er dachte jedoch nicht daran, stehen zu bleiben, und Bahzell warf Brandark einen viel sagenden Blick zu.
»Ich glaube, dieser Einfaltspinsel versucht es tatsächlich«, murmelte er.
»Vielleicht kann er ja schwimmen«, erwiderte Brandark, schloss sich jedoch Bahzell an, als der Pferdedieb neugierig an die Reling trat.
Mittlerweile lagen beinahe zweieinhalb Meter Flusswasser zwischen Kahn und Pier, als der alte Mann den Rand erreichte. Doch er wurde nicht langsamer. Mit erheblich mehr Kraft als Klugheit sprang er über den Spalt und stieß einen lauten Schrei aus, als er merkte, dass sein Sprung zu kurz war. Seine Hände erwischten zwar die Reling, seine Füße aber landeten im Fluss, und sein bestürzter Schrei steigerte sich zu einem panischen Kreischen, als das Wasser um seine Hüften sprudelte.
»He, Alterchen!« Bahzell beugte sich über die Reling und packte die überraschend kräftigen Schultern des Mannes, bevor er ihn aus dem Fluss hob, als wäre er ein Kind. »Das war wohl etwas überstürzt, was Ihr da gemacht habt, Freund«, sagte er, während er seine tropfende Last an Deck absetzte.
»Ich hatte keine Wahl!«, fuhr ihn der Mann an. Er warf einen Blick auf seine durchnässte, bunte Robe und zupfte an dem nassen Stoff. Bahzell hielt sich die Hand vor den Mund, um ein Lächeln zu verbergen, als der Mann jammerte: »Meine beste Robe. Sie ist ruiniert, schlichtweg ruiniert!«
»Aber nein, so schlimm ist das gar nicht«, beruhigte ihn Bahzell.
»Was versteht Ihr schon davon?« Der Alte, der trotz seines weißen Bartes gar nicht so alt war, wie Bahzell jetzt merkte, zerrte noch ein letztes Mal an seinem nassen Staatsgewand und warf dann den Hafenarbeitern, die schallend lachten, einen vernichtenden Blick zu. »Idioten!«, schnarrte er.
Bahzell und Brandark sahen sich amüsiert an, während ihre Ohren vor Vergnügen zuckten, als der Schiffer auftauchte.
»Was bei Phrobus fällt Euch eigentlich ein?«, fauchte er den Mann an.
»Ich habe Euch doch gesagt, Ihr sollt warten!«
»Und ich habe Euch gesagt, dass es zu spät ist! Das hier ist ein
gechartertes Schiff, kein verdammtes Ausflugsboot für senile Trottel!«
»Senil? Senil? Wisst Ihr eigentlich, mit wem Ihr redet, guter Mann?«
»Nein, und ich bin auch nicht Euer guter Mann! Ich bin der Schiffer dieses Kahns, und Ihr seid ein verdammter blinder Passagier!«
»Ich«, sagte der Mann mit Grabesstimme, »bin ein Bote der Götter, Ihr Dummkopf!«
»Aye, und ich bin Korthralas Onkel aus Norfressa«, erwiderte der Schiffer und spie verächtlich über die Reling.
»Schwachkopf! Blödmann!« Der Bärtige tanzte förmlich über das Deck. »Ich sage Euch hiermit, dass ich Jothan Tarlnasa bin!«
»Was ist denn ein Jothan Tarlnasa und warum sollte ich einen verdammten Furz darum geben?«, wollte der Schiffer wissen.
»Ich bin der Vorsitzende der philosophischen Fakultät des Kollegs der Barone, du stümperhafter Versager! Glaubst du, dass ich in voller Amtstracht hierher gekommen wäre und auch nur einen Fuß auf diesen rattenverseuchten Kahn setzen würde, wenn es nicht wichtig wäre?«
»Amtstracht?« Der Schiffer betrachtete Tarlnasas durchnässten Talar und lachte bellend. »Nennt Ihr das so?«
»Ich lasse Eure Lizenz einziehen!«, fauchte Tarlnasa. »Ich lasse Euch aus Derm verbannen! Ich werde …«
»Du wirst gleich ein Vollbad nehmen, wenn
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