Der Schwur
selbst erschrocken, wie höhnisch und gemein sie klang, aber sie konnte es nicht ändern.
Es gab eine unangenehme Pause. »Ich bin nicht besonders mächtig«, sagte Darian dann leise, und das machte die Sache nicht besser.
»Ist mir auch aufgefallen. Denn wenn du es wärst, säßen wir jetzt nicht in diesem Haufen Mist.«
Noch eine Pause. Sie sah, wie Darian den Kopf drehte und zu ihr hinschaute. »Was ist eigentlich los mit dir?«, fragte er.
»Gar nichts. Was soll denn los sein?«
»Warum hast du versprochen, ihnen zu helfen?«
»Weil wir sonst nicht hier rauskommen.« Sie hackte wieder mit dem Dolch auf die nackte Erde ein und brach einen faustgroßen Brocken heraus.
»Aber nicht nur deswegen, oder?«
Sie schaute ihn nicht an. »Was meinst du damit?«
»Es ist das, was die alte Hexe zu dir gesagt hat. Über deine Aufgabe … und dass Asarié dir nicht gönnen würde, auch jemand zu sein.«
»Quatsch.«
»Das ist kein Quatsch. Ich bin doch nicht dumm, Melanie. Mit diesem Gerede hat sie dich eingefangen.«
»Na und? Was kümmert es dich? Dann hab ich jetzt eben eine Aufgabe! Oder gönnst du mir das auch nicht?«
Darian seufzte. »Ich gönne dir jede nur denkbare Aufgabe. Aber ich glaube, dass Isarde dich angelogen hat. Irgendetwas stört mich bei –«
»Hör auf!« Melanie rammte den Dolch so fest in den Boden, dass er stecken blieb, und drehte sich wütend zu Darian um. »Dich stört doch nur, dass sie dich überhaupt nicht gebrauchen kann! Darian, der hochwohlgeborene Prinz – aber du kannst überhaupt nichts tun! Ich bin es nämlich, die uns hier rausholt, nicht du!«
Darian schüttelte nur den Kopf.
»Und ich bin auch nicht blöd. Natürlich nützen sie mich aus. Und natürlich haben sie uns nicht die ganze Wahrheit gesagt! Aber was sollen wir denn machen? Weißt du überhaupt, wie lange wir schon hier sind?«
»Zwei Tage, schätze ich.«
»Eher drei. Oder ein ganzes Jahr. Zumindest kommt es mir wie ein Jahr vor. Ich will mich mal wieder waschen, falls du weißt, was das ist. Und umziehen. Ich will hier raus!«
»Ich ja auch. Aber ich glaube, dass jemand herkommen wird, um uns zu retten.«
»Ach? Wer denn? Nachtfrost vielleicht? Der ist doch mehr damit beschäftigt, irgendwo da oben rumzurennen und schön auszusehen.«
Sie hörte ein leises Lächeln in Darians Stimme. »Er ist aber auch schön, oder nicht? Und gut.«
Aus irgendeinem Grund trieben ihr diese Worte Tränen in die Augen. »Ach, lass mich doch in Ruhe.«
Es schabte und kratzte an der Tür und sie zuckten zusammen. Die Tür öffnete sich und Isarde stand vor ihnen. Sie trug ein langes, spitzenbesetztes weißes Kleid, das vor hundert Jahren einmal schön gewesen sein mochte. Aber jetzt war die Spitze zerrissen und schleifte am Boden, der Saum franste aus, und an Hals und Handgelenken hatte sich der Stoff gelblich verfärbt. Isarde hatte ihre langen weißen Haare wie zu einer Krone auf dem Kopf zusammengesteckt, aber das konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie nur noch wenige Haare hatte. Die Kopfhaut schimmerte wie eine Kappe hindurch. »Kommt, Kinderchen«, sagte die alte Frau lächelnd. »Es ist so weit.«
»Das ist die Gelegenheit«, flüsterte Melanie Darian zu, als sie Isarde zur Haustür folgten. »Wenn ich jetzt sage, hauen wir ab! Die alten Weiber fangen uns nie!«
»Du willst deinen Schwur brechen?«
»Was für einen Schwur?«
»Deinen Schwur, dass du ihnen hilfst.«
»Ist doch egal! Das habe ich doch nur so gesagt!«
Darian schüttelte den Kopf, als könne er es nicht fassen. »Ich weiß nicht, wie es in deiner Welt ist, aber hier kannst du einen Schwur nicht brechen.«
»Verdammt noch mal, willst du nun hier raus oder nicht? Jetzt stell dich doch nicht so an! Du willst doch gar nicht, dass ich ihnen helfe!«
»Stimmt«, sagte er. »Aber da du geschworen hast –«
»Folgt mir, Kinder«, rief Isarde über die Schulter zurück, und die beiden schwiegen erschrocken. Aber die alte Frau gab nicht zu erkennen, ob sie den gezischten Streit mit angehört hatte oder nicht. Sie öffnete die Eingangstür und ging hinaus.
Melanie holte tief Luft. Durch die Tür sah sie das ewig gleiche rötliche Zwielicht und die braunen Stämme der Riesenpilze. Ein dünner Nebelschleier zog sich über den Boden und schien sich zu verdichten. Gut so! Wenn Nebel aufkam, würden die beiden alten Hexen sie und Darian niemals finden.
Ohne sich nach ihnen umzusehen, schritt Isarde in das Dämmerlicht hinein.
Melanie folgte ihr
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