Der Schwur
Sonjas Kopf: Steig ab. Sie glauben, dass du und ich ein zusammengewachsenes Wesen sind, und wissen nicht, mit welchem Kopf sie reden sollen .
»Verrückt«, murmelte Sonja, schwang aber gehorsam das Bein über seine Kruppe und sprang ab. Zu ihrer Überraschung war sie nicht so steif und zerschlagen wie erwartet.
Die Mayakó wichen zurück, gaben überraschte Laute von sich und kamen wieder näher. Sie waren alle etwa einen Kopf größer als Sonja, und als sie sie umringten, fühlte sie sich wie in einem Raum mit pelzbesetzten Wänden.
Die Wesen rochen ein wenig scharf, wie Tiere, aber es war kein Geruch, den Sonja irgendeinem Tier zuordnen konnte. Ihre Augen leuchteten im Dunkeln.
Nervös sagte sie: »Hallo.«
Eins der Wesen trat vor, legte den Kopf schief und begutachtete sie eine Weile. Dann streckte es den Arm aus. Sonja entdeckte, dass seine Hände eher Klauen waren, undzuckte leicht zusammen, als es sie berührte. Zu ihrer Erleichterung blieb der »Seelentausch« diesmal aus. Der Mayakó öffnete den Mund und zeigte zwei Reihen spitzer, gefährlich aussehender Zähne.
»Stein-Volk?« Seine Stimme war tief und rau, und seine Kehle und Zunge schienen nicht so recht an Worte gewöhnt zu sein. »Stein-Volk?«
»Ich weiß nicht«, sagte Sonja verwirrt. »Was meinst du damit?«
Das Wesen zog die Klaue zurück. Dann streckte es sie wieder aus. »Stein-Volk?«
»Ich versteh dich nicht. Nachtfrost! Ich weiß nicht, was er von mir will!«
Er will wissen, was du bist, gab Nachtfrost zurück.
Der Mayakó schaute sie aus riesigen Augen an. Dann bewegte er die Hand und berührte ihre nassen Haare. »Wasser-Volk?«
»Nein, ich … ich bin ein Mensch. Ich heiße Sonja.«
»Mensch.« Nicht der kleinste Ton des Verstehens lag in diesem Wort. Das Wesen betrachtete sie und schien nachzudenken. Endlich sagte es: »Mensch. Nicht Stein-Volk. Fell. Stein-Volk?«
»Ich hab doch kein –« Sonja stockte. »Warte mal. Meinst du meinen Kittel oder was immer das ist?«
Wieder legte das Wesen nur den Kopf schräg.
»Das habe ich von Eok. Vom Kleinen Volk. Er hat es mir geschenkt.«
Der Mund klaffte zu einem zähnefletschenden Grinsen auf und sie zuckte unwillkürlich zurück. »Eok«, sagte das Wesen. »Stein-Volk. Mensch. Nicht Stein-Volk. Fell. Mensch Stein-Volk.«
Na gut, Ganna hatte ihr ja gesagt, dass es schwierig seinwürde, sich mit den Mayakó zu unterhalten. Vielleicht konnte das Amulett ihr helfen? Sie griff in die Hosentasche und holte es heraus. Es fühlte sich kühl an. Die Vierarmigen stießen brummende Laute aus und starrten das glänzende Ding an; dann streckte einer die Hand aus und tippte mit einer Klaue vorsichtig auf den Wolfskopf. Sofort zog er die Klaue wieder zurück und schüttelte sie. »Feuer«, sagte er in klagendem Ton.
Sonja nickte. »Ja, es ist heiß. Nur ich kann es anfassen.« »Ich weiß nicht, wieso«, wollte sie hinzufügen, schluckte es aber herunter. Es konnte nicht schaden, ihre eigene Wichtigkeit mal ein bisschen zu unterstreichen. »Kennt ihr die Elarim? Die Nomaden aus Duntalye? Sie sind jetzt im Winterlager. Ganna hat gesagt, sie brauchen eure Hilfe. Es geht um den –« Die Mayakó begannen leise zu knurren und sie schluckte. Hatte sie etwas Falsches gesagt? Aber Nachtfrost stand immer noch ruhig hinter ihr, also raffte sie ihren ganzen Mut zusammen und sprach weiter. »Es geht um den Krieg. Sie müssen gegen den Spürer kämpfen. Könnt ihr ihnen dabei helfen? Versteht ihr überhaupt ein Wort von dem, was ich sage?«
»Elarim«, sagte eins der Wesen und machte ein paar komplizierte Gesten mit allen vier Händen. »Mensch. Stein-Volk. Wolfs-Volk. Wander-Volk?«
»Ja, genau!«, sagte Sonja. »Das heißt, beim Kleinen Volk weiß ich es nicht. Aber die Elarim und die Tesca sind zusammen im Winterlager. Sie brauchen eure Hilfe! Und ich – ich suche die Weißen Schwestern. Isarde und Idore. Könnt ihr mir sagen, wo sie wohnen?«
Die Mayakó verstummten. Große, leuchtende Augen starrten Sonja an, und sie hatte plötzlich das deutliche Gefühl, dass sie die Weißen Schwestern besser nicht erwähnt hätte. Abrupt wandten sich die Vierarmigen von ihr ab und huschten zurück in ihre Nester. Nur einer blieb noch einmal stehen und drehte sich zu Sonja um.
»Mensch«, sagte er. »Wander-Volk. Wolfs-Volk. Stein-Volk. Nicht weiter. Nicht weiter!«
»Aber ich muss weiter! Ich muss sie finden! Bitte hilf mir!«
Der Mayakó zögerte. »Nicht weiter«, sagte er, es klang ängstlich.
»Doch!
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