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Der Schwur

Der Schwur

Titel: Der Schwur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Vollenbruch
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Nachtfrost, sag ihm doch, dass er mir helfen soll!«
    Nachtfrost antwortete nicht, senkte nur den Kopf und berührte ihre Schulter leicht mit dem Maul. Der Mayakó stand unschlüssig da, verschränkte zwei seiner Arme, kratzte sich mit dem dritten am Kopf und zeigte plötzlich mit dem vierten auf den See und den schwarzen Tunnel, in dem der Fluss brausend verschwand. »Nicht weiter.«
    Gleich darauf entwirrte er seine Arme wieder und lief davon.
    »Nicht weiter«, murmelte Sonja. Ihr graute vor einem weiteren Sturz durch völlige Dunkelheit in eisigem Wasser. »Nachtfrost, muss das wirklich sein?«
    Es gibt keinen anderen Weg. Nachtfrost lehnte seinen Kopf an ihre Brust und sie streichelte das seidige Fell. Und ich muss dir noch etwas sagen. Darian hat mich gerufen. Er und Melanie sind dort unten, aber wir gehen in eine Falle. Und ich werde euch nicht helfen können.
    Sonja hatte plötzlich das Gefühl, in einen bodenlosen Schacht zu stürzen. Ihre Knie wurden weich. »Eine … eine Falle? Was für eine Falle? Und was passiert mit dir?«
    Ich weiß es nicht. Er hob den Kopf und schnupperte an ihrem Gesicht. Es ist deine Entscheidung. Darian sagt, wir sollen nicht kommen. Er sagt, sie werden versuchen, es alleine zu schaffen.
    »Können sie das denn?«
    Nein.
    »Und wenn wir nun in diese – diese Falle gehen?«
    Dann vielleicht.
    Sonja atmete tief durch. »Dann gibt’s da keine Entscheidung.« Sie umarmte den großen schwarzen Kopf des Einhorns. »Ich gehe allein da runter. Ich will nicht, dass du in eine Falle gehst!«
    Ich gehe mit dir, sagte Nachtfrost. Falle oder nicht, wir gehen zusammen.
    »Aber –«
    Ich bin ein Bote der Göttin. Glaubst du wirklich, ich fürchte mich vor zwei verrückten Hexen? Und ich will dir noch etwas sagen. Die Göttin weiß alles, was geschieht. Und sie hat euch drei nicht zufällig ausgewählt.
    »Uns – drei? Also auch Melanie? Aber Asarié sagte doch –«
    Asarié weiß nicht alles.
    »Oh.« Dieser Gedanke war Sonja bisher noch nie gekommen, aber sie hatte jetzt nicht die Zeit, darüber nachzugrübeln. Bei dem Gedanken, in eine Falle zu gehen, fühlte sie sich kein bisschen mutig – im Gegenteil, ihre Knie zitterten, und ihr Magen fühlte sich an wie ein Stein. Sie hatte entsetzliche Angst. Am liebsten wäre sie mit Nachtfrost bis zum anderen Ende der Welt geflohen. Aber sie hatte keine Wahl. Darian und Melanie steckten schon in der Falle und hatten keine Chance, allein wieder herauszukommen.
    Also musste sie es versuchen. Sie wünschte nur, Ganna hätte ihr vorher gesagt, dass die Weißen Schwestern verrückt geworden waren.
    Sie schniefte und zog die Nase hoch. Dann griff sie in Nachtfrosts Mähne, landete auf seinem Rücken und setztesich zurecht. »Also gut«, sagte sie und stellte fest, dass ihre Stimme jämmerlich zittrig klang. »Gehen wir in – in diese Falle.«
    Aus den dunklen Höhlungen ihrer Nester beobachteten die Mayakó, wie das schwarzsilberne Einhorn und seine Reiterin zum Fluss trabten, in das schnellfließende Wasser hineintraten und im Tunnel zum Versunkenen Land verschwanden.
    »Sie kommen«, sagte Isarde. »Jetzt, kleine Melanie, kannst du dein Versprechen einlösen.«
    »Ich tu’s nicht«, sagte Melanie, obwohl sie vor Angst kaum mehr stehen konnte. »Sie haben mit Nachtfrost irgendeine Schweinerei vor. Das mache ich nicht!«
    »Ts, ts. Ich dachte, du kannst ihn sowieso nicht leiden?«
    »Das – das ist egal. Ich war eben bescheuert. Aber ich mach’s trotzdem nicht!«
    »Dann lässt du mir leider auch keine Wahl.« Sie hob die Hand, und Melanie verlor das Bewusstsein.
    Der Fluss schoss in hohem Bogen aus dem Tunnel und stürzte in einen großen See, um von dort aus in eine unbekannte Welt unter dem Nebel weiterzufließen. Sonja und Nachtfrost stürzten in die Tiefe, landeten im Wasser und wurden vom Wasserfall zur Seite gedrückt. Prustend tauchten sie wieder auf. Sonja krallte sich schlotternd an Nachtfrosts Mähne fest und ließ sich von ihm zum Ufer ziehen. Er kletterte hinaus und schüttelte sich, und sie fiel fast herunter.
    Als er sich und sie getrocknet hatte, schaute sie sich ängstlich um. Sie befanden sich in einem Wald aus Riesenpilzen, und es gab kein richtiges Licht, nur ein rötlichesZwielicht. Die Luft war zum Ersticken dick und warm und stank nach Pilzen. Es war eine tote, trostlose Gegend, die sie vom ersten Moment an verabscheute. Und das Wissen, dass hier irgendwo eine Gefahr auf sie und Nachtfrost lauerte, machte es nicht besser.

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