Der Schwur
gewöhnlich aussehendes Lederhalfter.
»Was –«
»Schweig! Sonja und Nachtfrost werden gleich hier ankommen. Dann gehst du zu ihnen und legst Nachtfrost diesen Zaum um. Alles andere übernehmen wir.«
Angst hatte Melanie vorher schon gehabt, aber jetzt spürte sie, wie Panik in ihr aufstieg. »Was haben Sie vor?«, fragte sie mit schriller Stimme.
Isarde hob ganz leicht die Hand und Melanie zuckte instinktiv zurück. »Ah, du lernst also doch dazu«, sagte Isarde mit bösem Lächeln. »Tu, was ich dir sage, dann kannst du mit Sonja ganz friedlich und unversehrt nach Hause zurückkehren. Sieh es endlich ein, Kindchen. Du hast keine Wahl. Jetzt nicht mehr.«
W
achablösung
Die Schlucht war zu breit. Das hatte Sonja von Anfang an gewusst, und Nachtfrost vermutlich auch. Ohne Flügel konnte nicht einmal ein Einhorn über eine Kluft von dreißig Metern springen.
Und deshalb versuchte Nachtfrost es auch gar nicht erst.
Er galoppierte, stieß sich ab, sprang – und landete mit lautem Klatschen zwanzig Meter tiefer im Wasser, das eiskalt über ihm und Sonja zusammenschlug. Gleich darauf tauchte er wieder auf und schwamm prustend mit der Strömung, während Sonja sich schlotternd an ihm festkrallte. Hoch über ihnen schrien die Soldaten aufgebracht durcheinander, und ein Speer flog dicht über Sonjas Kopf und zischte ins Wasser. Entsetzt duckte sie sich, obwohl sie sich vor Kälte kaum bewegen konnte. Vor sich sah sie ein riesiges schwarzes Loch, in dem der Fluss schäumend und strudelnd verschwand. Nachtfrost schwamm zur Mitte des Flusses und die Strömung riss ihn mit. Hilflos klammerte Sonja sich an ihm fest. Aber in all ihrer Angst und Verwirrung glaubte sie doch fest daran, dass er wusste, was er tat. Wenn er meinte, dass der Weg zu Melanie durch einen Tunnel in der Erde führte, würde das wohl auch stimmen.
Unsere Reise ist fast zu Ende , sagte Nachtfrost liebevoll in ihrem Kopf. Wir sind bald da.
Dann wurden sie in die Tiefe gerissen.
Felswände und Klippen wirbelten an ihnen vorbei. DasWasser tobte und schäumte und donnerte so laut, dass es jedes andere Geräusch übertönte. Nachtfrost kämpfte nur kurz gegen die Strömung an, dann ließ er sich treiben. Das Tageslicht verschwand hinter ihnen, und sie stürzten durch eine brüllende, eisige Finsternis einem unbekannten Ziel entgegen. Sonja schrie, konnte aber ihre eigene Stimme nicht hören.
Und dann war es ganz plötzlich vorbei. Das Wasser schoss aus einer Öffnung heraus und sammelte sich in einem See, bevor es in einem weiteren Tunnel verschwand. Nachtfrost schwamm ans Ufer und kletterte aus dem Wasser. Sonja lag auf seinem Rücken und zitterte am ganzen Körper. Er wandte den Kopf und blies warm auf ihre Hand. Die Wärme breitete sich von ihrer Hand ausgehend in ihrem ganzen Körper aus, und sie fror nicht mehr, schlotterte aber noch immer.
»Danke«, flüsterte sie heiser. »Aber nächstes Mal nehmen wir dann doch bitte eine Brücke, ja?«
Er schnaubte belustigt. Sonja setzte sich auf und schaute sich um.
Sie befanden sich in einer großen Höhle, die von einigen weiß leuchtenden Kristallen schwach beleuchtet wurde.
Zu beiden Seiten des Sees war ungefähr zwanzig Meter Platz bis zur Felswand, und dort wuchsen vierzig oder fünfzig seltsame runde Gebilde aus einem helleren Material. Jedes der Gebilde war ungefähr einen Meter hoch und hatte ein rundes Loch. Sie klebten wie Nester aneinander, und als ein zweibeiniges, vierarmiges, pelziges dunkles Wesen aus einem der Löcher schlüpfte und geschickt nach unten turnte, begriff Sonja mit einem leichten Schock, dass es auch wirklich Nester waren und dass sie die Mayakó gefunden hatte.
Nachtfrost blieb wie ein Standbild stehen, während immer mehr der schwarzen Pelzwesen herbeihuschten und sich in respektvoller Entfernung um ihn und Sonja versammelten. Das weiße Horn auf seiner Stirn leuchtete so hell, dass Sonja die Mayakó gut erkennen konnte. Gut, dass Ganna sie vorgewarnt hatte! Sie sahen ein wenig menschenähnlich aus: Sie standen aufrecht, gingen also eher auf zwei Beinen als auf vier, und Männer wie Frauen trugen einfache braune Kittel. Allerdings sahen ihre Körper falsch aus: Die Arme und Beine waren zu lang, der Rumpf ein wenig zu kurz, der Hals zu dünn und der Kopf zu rund. Und bei dem doppelten Armpaar, den schwarzen Gesichtern mit den platten Tiernasen und den riesigen, runden Augen endete jede Ähnlichkeit.
Nachtfrost neigte den Kopf wie zum feierlichen Gruß und sagte in
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