Der Schwur
verstanden? Er trägt den Zauber in sich.« Sie kicherte wieder und sah aus wie eine Irre. »Weg mit dem Zauber. Weg mit der Brücke. Wir werden frei sein!«
»Dann müssen Sie mich auch umbringen«, sagte Sonja rau.
»Und mich«, sagte Darian.
»Es muss doch einen anderen Weg geben!«, schrie Melanie.
Plötzlich war es ganz still. Isarde kicherte nicht mehr. Ihre Schwester Idore glitt wie Rauch neben sie und öffnete den Mund. Doch statt ihres üblichen meckernden Lachens kamen diesmal Worte: hasserfüllt und böse. »Es gibt einen anderen Weg.«
Isarde blinzelte und sah völlig verblüfft aus. »Was?«
Idore beachtete sie nicht. Ihre Augen waren hell und tot wie Stein, als sie Melanie anstarrte. »Eine von euch muss für uns eintreten.«
»Was heißt das?«, fragte Sonja verstört. »Melanie, was –«
Melanie schüttelte benommen den Kopf. All das war ihre Schuld. Sie hatte ein Gesetz gebrochen; daraus war das alles entstanden. Sie hatte geschworen, sie hatte nicht nachgedacht, sie hatte Nachtfrost sogar noch unter den Zauber der Hexen gebannt. »Ich mach’s«, sagte sie.
»Nein!«, rief Darian. »Melanie, das geht nicht!«
Über Idores böses, hageres Gesicht glitt ein ganz seltsames Lächeln. Sie schaute Melanie an. »Bist du ganz sicher?«
Melanie biss sich auf die Lippe und hob trotzig den Kopf. »Sie wollen doch hier raus, oder?«
»Melanie, was heißt das? Was willst du machen? Was hat das mit Nachtfrost zu tun?«
»Gar nichts. Halt den Mund.«
»Melanie«, sagte Darian, »du weißt nicht, was du da sagst. Du hast keine Ahnung –«
»Doch, habe ich. Ich hab uns das eingebrockt, oder? Also.« Ihre Stimme zitterte plötzlich. »Ich werd mich schon an die bescheuerten Pilze gewöhnen.«
»Das musst du nicht«, sagte Idore. »Du bist kein Kind dieser Welt; du kannst gehen, wohin du willst. Du bist nur an die Brücke gebunden, und sie wird dich in deinen Träumen heimsuchen. Kann sein, dass dir das gelegentlichnicht gefällt.« Sie bleckte die Zähne und krümmte die Hände zu Krallen. »Und wir sind frei.«
»Noch nicht«, sagte Darian scharf. »Nehmt Nachtfrost den verfluchten Zaum ab!«
»Oh, der Prinz von Chiarron spricht.« Isarde kicherte. »Ich hatte gehofft, du vergisst es. Na schön.« Sie bewegte die Hand und das magische Halfter verschwand. Nachtfrost blinzelte, schüttelte verwirrt den Kopf und schaute sich um. Die Hexen traten hastig aus der Reichweite des weißen Horns – und im nächsten Moment waren sie verschwunden. Das Feuer in der großen Schale flackerte, wurde kleiner und erlosch, und dann lag über dem Pilzwald nur noch das unveränderliche rote Zwielicht.
»Melanie –«, begann Darian.
»Warte«, unterbrach Melanie ihn. Sie drehte sich um und schaute Nachtfrost direkt an. »Ich möchte – ich möchte dir sagen, dass es mir leidtut. Ich hab nicht gewusst …« Sie schluckte. Das Einhorn blickte sie aus mitternachtschwarzen Augen an und wartete, und Melanie spürte, dass es ihr bis ins Herz schauen konnte. »Es tut mir leid«, flüsterte sie. »Ich habe mich widerlich benommen.«
Nachtfrost senkte leicht den Kopf und schnaubte. Seine Ohren klappten nach hinten, dann wieder nach vorne, und er trat einen, dann zwei Schritte auf Melanie zu. Ganz sacht stupste er sie mit dem Maul an.
Sehr zögernd und vorsichtig streichelte Melanie seinen Kopf, und dann brach sie in Tränen aus und umarmte ihn. Er ließ es geduldig über sich ergehen.
Es krachte wie von einem Donnerschlag, und sie fuhren alle heftig zusammen. Selbst Nachtfrost warf erschrocken den Kopf hoch. Wo eben noch die beiden Hexen gewesen waren, stand jetzt eine Frau: Asarié. In ein weißes Gewandgehüllt, das den Kleidern der beiden Hexen erschreckend ähnlich sah.
»Wisst ihr eigentlich, was ihr getan habt?«, schrie sie. »Tausend Jahre haben wir diese Irren hier unten unter Kontrolle gehabt, und ihr geht hin und lasst sie frei! Das kann doch wohl nicht wahr sein! Seid ihr völlig wahnsinnig geworden?«
Melanie wurde blass und wich zurück.
»Wir hatten keine andere Wahl«, sagte Darian so ruhig wie möglich.
»Denkst du, das weiß ich nicht?«, fauchte Asarié ihn an. »Glaubst du, ich habe meinen Kopf nur, um meine Haare darauf herumzutragen? Sobald mir klar wurde, dass ihr beide in den Pilzwald geraten wart, wusste ich auch, dass sie euch betrügen und benutzen würden, um hier herauszukommen. Ihr hattet keine Chance gegen sie.«
»Warum beschimpfen Sie uns dann?«, fragte Sonja empört. »Sie
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