Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
diesen Namen mit Recht trägt! Der älteste und klügste, friedliebendste Häuptling der Apachen! Den muß ich sehen.«
»Ich werde ihn Euch zeigen. Er kam in einem sehr schlimmen Zustande bei mir an. Ihr müßt wissen, daß der berühmte Winnetou mich kennt und stets bei mir einkehrt, wenn er in diese Gegend kommt, denn er weiß, daß er mir vertrauen darf. Er hatte von Fort Inge aus den andern Häuptling eingeholt. Dieser hatte eine Kugel in den Arm und eine zweite in den Schenkel bekommen. Am Rio Leona hat Winnetou ihn verbunden; dann sind sie sofort wieder aufgebrochen. Aber den alten, verletzten Mann hat das Wundfieber gewaltig gepackt, und die Comanchen sind quer durch die Wüste geschwärmt, um ihn aufzufangen. Wie Winnetou es fertig gebracht hat, ihn trotz dieser Hindernisse bis hierher zu meiner Estanzia del Caballero zu bringen, das ist mir noch jetzt ein Räthsel; so etwas kann eben nur Winnetou leisten. Aber hier ging es nicht weiter, denn Inda-nischo hatte sich nicht mehr im Sattel halten können, so schwach war er gewesen und so hatte ihn das Fieber geschüttelt. Er hat sehr viel Blut verloren gehabt und ist über siebzig Jahre alt.«
»Man sollte es nicht für möglich halten! Von Fort Inge bis hierher bei solchen Wunden im Sattel zu bleiben! Der Weg, den sie geritten sind, beträgt mehr als hundertsechzig englische Meilen. Bei so einem Alter kann das nur ein Rother aushalten. Bitte, weiter!«
»Er kam des Abends hier an und läutete. Ich ging selbst hinab und erkannte Winnetou. Er erzählte mir Alles und bat mich, seinen rothen Bruder in Schutz zu nehmen, bis er abgeholt werde; er selbst müsse schleunigst über den Rio grande, um seine Stämme von dem Verrathe und der Annäherung der Comanchen zu benachrichtigen. Er sagte, wenn es ihm gelungen sei, mit dem Verwundeten den Feinden zu entwischen, so reiche seine List und Kühnheit nun auch aus, die Apachen zu erreichen. Ich gab ihm meine beiden besten Vaquero’s mit, um zu erfahren, ob es ihm gelingen werde, durchzukommen. Sie sollten ihn begleiten und mir dann Nachricht bringen.«
»Nun,« fragte Old Death gespannt. »Ist er dann hinüber?«
»Ja. Und das hat mich außerordentlich beruhigt. Er ist sehr klug gewesen und nicht oberhalb des Rio Moral, wo die Comanchen stehen, sondern unterhalb desselben über den Rio grande gegangen. Freilich gibt es dort keine Furth; der Fluß ist sehr reißend, und es ist ein lebensgefährliches Wagniß, hindurch zu schwimmen. Trotzdem sind meine Vaquero’s mit ihm hinüber und haben ihn noch so weit begleitet, bis sie Sicherheit hatten, daß er den Comanchen nicht mehr begegnen könne. Nun hat er die Apachen benachrichtigt, und diese werden die Feinde richtig empfangen. Jetzt aber kommt mit zu dem alten Häuptlinge, wenn es Euch recht ist, Sennores.«
Alle standen auf. Auch ich mußte mich von meinem Stuhle trennen – leider! Ich fuhr mit einem einzigen verzweifelten Ruck empor und verabschiedete mich von den Damen mit einer Verbeugung, welche, wie ich gar wohl fühlte, von einem schmerzlichen Zucken meines Gesichtes begleitet war. Unten angekommen, befanden wir uns in einem ganz ähnlichen wie dem oberen Corridore. Wir traten durch die hinterste Thüre.
Da lag in einem sehr kühlen Raume der alte Häuptling. Das Fieber hatte nachgelassen, aber er war so schwach, daß er kaum sprechen konnte. Die Augen lagen tief in ihren Höhlen, und die Wangen waren eingefallen. Einen Arzt gab es nicht; aber der Caballero sagte, Winnetou sei ein Meister in der Behandlung von Wunden. Er habe heilsame Kräuter aufgelegt und streng verboten, die Verbände zu öffnen. Sobald das Wundfieber vorüber sei, habe man nichts mehr für das Leben des Kranken zu befürchten, für welchen nur der starke Blutverlust und das Fieber gefährlich seien. Als wir die Thüre wieder hinter uns und die Treppe vor uns hatten, stieß ich unwillkürlich einen lauten Seufzer aus. Der Haziendero blieb stehen und fragte:
»Fehlt Euch etwas, Sennor? Das war ein sehr schweres Athemholen.«
Ich fühlte, daß ich erröthete. Ohne daß ich es wollte, schweifte mein Blick die Treppe empor. Old Death errieth, was mich so tief bewegte. Er sagte lachend:
»Mein junger Freund hat Angst vor dieser Treppe. Er ist das Reiten nicht gewöhnt, und wir haben nun in einer Tour über vierhundert Meilen zurückgelegt. Da ist es kein Wunder, wenn das Treppensteigen Qualen verursacht.«
»Muth gefaßt!« meinte der Haziendero. »Da soll Euch gleich geholfen werden,
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