Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
sonderbarer. Es lag zwar die gewöhnliche Verachtung darin, aber auch etwas, was ich beinahe Sehnsucht oder geistlichen Hunger hätte nennen mögen. Als er gewahrte, daß ich ihn gesehen hatte, kam er herbei, riß eine der Blüten ab und fragte:
»Also diese Blume soll ein Sinnbild des Leidens Ihres sogenannten Heilandes sein, Sennor?«
»Ja,« antwortete ich ruhig, »doch nicht des sogenannten, sondern des wirklichen!«
»Die Ranken sollen die Geißeln, die lappigen Blätter die Lanze, der Fadenkranz die Dornenkrone, die fünf Staubbeutel die Wundenmale, der Fruchtknoten den Kelch und die drei Griffel die Nägel des Kreuzes bedeuten? Sennor, wenn das nicht der höhere Blödsinn ist, so giebt es eben keinen Blödsinn mehr!«
Er warf die Blume zu Boden und trat darauf. Das empörte mich; darum sagte ich in scharfem Tone:
»Denken Sie, was Sie wollen, Sennor; aber Sie haben jetzt nicht die Pasionaria, sondern das, was sie bedeutet, mit Füßen getreten!«
»Pasionaria!« hohnlachte er. »So wird die Blume doch nur von verdummten Menschen genannt. Sie wissen doch jedenfalls, daß ihr eigentlicher Name Granadilla ist. Sind Sie denn wirklich so albern, das, was Sie sagen, zu glauben? Leiden Christi! Wer war Christus? Ein Mensch wie Sie und ich! Wie kann ein Mensch die ganze Menschheit selig machen! Er ist gestorben, wie jeder sterben muß. Und daß er das Erlösungswerk durch seine Auferstehung gekrönt haben soll, das ist – das – das ist – – –«
Er hielt inne, wohl in Folge des Blickes, den ich auf ihn warf. Ich sprang auf, stellte mich hart vor ihn hin und fragte:
»Das ist – das ist – – nun, was ist es?«
»Unwahrheit. Kein Toter steht auf!«
Ich wollte ihm eine zornige Entgegnung in das Gesicht schleudern, beherrschte mich aber und sagte in gemäßigtem Tone, indem ich ihm die Hand auf den Arm legte:
»Sennor, Sie können mir leid thun, ungeheuer leid! Christus ist auch für Sie gestorben und auch für Sie auferstanden, und wohl Ihnen, daß dem so ist!«
»Wohl mir? Warum?«
»Weil Sie eines Heilandes wohl mehr bedürfen als tausend andere Menschen.«
»Ich – ich – – ich?« fragte er, indem er einige Schritte zurücktrat und mich aus seinen dunklen Augen förmlich anblitzte.
»Ja Sie! Was für eine Last liegt auf Ihrem Herzen? Warum gehen Sie so oft von uns fort, um laut mit dem finstern Geiste zu sprechen, der in Ihnen wohnt? Sie haben ein böses Gewissen!«
»Ein böses Gewissen?« schrie er mich an, indem er nach seinem Messer griff. »Wagen Sie, das noch einmal zu sagen, so fährt Ihnen meine Klinge in das Herz, ohne daß Ihr Erlöser mich daran hindern kann!«
»Pah!« antwortete ich, indem ich den Revolver zog. »Ehe Sie den Arm erhoben, haben Sie zwei, drei Kugeln von mir! Ich wiederhole es: Sie haben ein böses Gewissen; Sie tragen ein Verbrechen mit sich herum. Es giebt nur ein Heil für Sie, und dieses kommt von Dem, den Sie verleugnen. Sie werden keine Ruhe und keinen Frieden finden und nach Erlösung schreien, daß Ihnen die Zunge am Gaumen klebt. Es wird eine Passionszeit, eine Zeit der Qual, des tiefsten Leidens für Sie kommen, und ich will wünschen, daß das Osterwort ›Christ ist erstanden‹ dann auch für Sie erklingen möge; denn ohne dieses Wort giebt es für Sie keine Rettung!«
Er war leichenblaß geworden und starrte mich wie abwesend an. Seine blutleeren Lippen zuckten, die Hand sank ihm vom Messer nieder. Dann jedoch raffte er sich zusammen, stieß ein kurzes, heiseres Gelächter aus und sagte:
»Sie phantasieren, Sennor: darum will ich nicht mit Ihnen rechten. Sobald sich mir eine andere Gelegenheit bietet, verlasse ich Sie. Bis dahin aber hüten Sie sich! Ich bin nur dieses eine Mal nachsichtig, nun aber nicht wieder. Mein Messer kann eben so schnell wie Ihre Kugeln sein!«
Ich hielt es nicht für nötig, hierauf ein Wort zu entgegnen. Am liebsten hätte ich ihn fortgejagt; aber das konnte ich hier im tiefen Urwalde doch nicht thun. Er sprach während der folgenden Tage nicht mehr mit mir; er wendete sich an die Tobas, wenn er etwas zu sagen oder zu fragen hatte. Das war eine unerquickliche Zeit, und ich freute mich, als wir nach vieler Anstrengung die Fälle des Rio Madeira überwunden hatten und dann in den Mamoré einbogen. Wir waren da in einer Gegend, wo man hoffen konnte, wieder Menschen, und zwar Weiße zu treffen.
Diese Hoffnung erfüllte sich schon am nächsten Tage. Wir hörten an einer Stelle, wo der Fluß schmäler wurde, Axtschläge
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