Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
vom Ufer herübertönen und lenkten natürlich auf dasselbe zu. Es waren da mehrere Kähne angebunden, doch zunächst keine Menschen zu sehen. Wir stiegen aus und folgten einem schmalen, durch das Unterholz gehauenen Pfad. Er führte uns nach einem freien Platze, welcher durch das Fällen von Cinchonabäumen entstanden war. Wir befanden uns auf dem Arbeitsfelde einer Gesellschaft von Cascarilleros.
Cascarillero heißt Rindensammler. Diese Leute gehen in die Urwälder, um die China-oder Fieberrinde zu gewinnen. Das ist mit großen Schwierigkeiten verbunden und kann nur von kräftigen, erfahrenen und kühnen Menschen betrieben werden. Man fällt die Bäume dicht an der Wurzel, zieht die Rinde in Streifen ab und trocknet sie entweder an der Sonne oder über einem Feuer. In Gegenden, wo man künstliche Chinabaumpflanzungen angelegt hat, werden die Bäume nicht gefällt, sondern nur sorgfältig abgerindet, was selbstverständlich ein viel vernünftigeres Verfahren ist.
Es waren hier gegen zwanzig Cascarilleros vorhanden, welche uns zunächst nicht allzufreundlich begrüßten. Als sie aber erfuhren, daß wir keine Rindensammler, also nicht Konkurrenten von ihnen seien, änderte sich ihr Verhalten sofort zum Besseren. Das waren halb nackte, von der Sonne fast schwarz gebeizte Gestalten mit kühnen Gesichtszügen und überaus kräftigen Gliedmaßen, welche für einen reichen, oben in Exaltacion wohnenden Unternehmer arbeiteten. Sie hatten bedeutende Vorräte liegen, und zwei von ihnen wollten noch heute in einem Boote nach Exaltacion aufbrechen, um ihrem Arbeitgeber Bericht zu erstatten. Perdido fragte sie, ob sie ihn mitnehmen wollten. Sie waren für eine angemessene Bezahlung bereit dazu, und als er das hörte, sprach er nach langem Schweigen wieder das erste Wort zu mir:
»
Gracias á Dios
– Gott sei Dank, daß ich Sie nun nicht mehr zu sehen brauche! Hüten Sie sich, mir jemals wieder in den Weg zu kommen!«
»
Gracias á Dios!
« antwortete ich lächelnd. »Sie glauben nicht an Gott und sagen ihm doch Dank? Fahren Sie in Frieden von hier fort! Ich wünsche Ihnen alles Gute. Aber denken Sie an das, was ich Ihnen prophezeit habe; es wird gewiß in Erfüllung gehen!«
Er schaffte seine Habseligkeiten in das betreffende Boot und kehrte dann nach dem Arbeitsplatze zurück, wo die Cascarilleros sich jetzt im Schatten lagerten, um auszuruhen, denn die Mittagszeit war nahe. Ich wollte das Geschäft dieser Leute gern kennen lernen und fragte sie darum, ob sie mir erlauben würden, einige Tage bei ihnen zu bleiben. Sie waren sehr gern einverstanden.
Ein Mitglied der Gesellschaft war fortgegangen, um nach Calisaya-Bäumen zu suchen, welche die beste Fieberrinde liefern. Der Mann kam jetzt zurück. Er sah zunächst mich und die drei Indianer und gab uns die Hand. Dann fiel sein Blick auf Perdido; er machte eine Bewegung der Ueberraschung und rief erstaunt:
»Sennor Riberto! Sie hier, hier im Ciachonawalde! Sollte man eine solche Begegnung für möglich halten!«
Perdido hatte an der Erde gesessen; jetzt sprang er auf. Er sah grad so verstört aus wie damals, als ich von seinem bösen Gewissen gesprochen hatte. Er wußte, daß die Worte des Cascarillero ihm galten, denn sonst wäre er nicht aufgesprungen; dennoch fragte er beinahe stammelnd:
»Mit wem sprechen Sie? Meinen Sie etwa mich?«
»Ja, gewiß.«
»Dann scheinen Sie mich mit einem andern zu verwechseln.«
»Nein, Sennor. Von einer Verwechselung kann keine Rede sein. Sie wissen, daß ich Sie genau kenne, so genau, daß ein Irrtum vollständig ausgeschlossen ist.«
»Ich weiß nichts, ganz und gar nichts!«
»Aber Sie kennen mich doch?«
»Nein.«
»Nicht? Sennor Riberto, Sie werden doch Ihren früheren Nachbar Antonio Gorra kennen, der tagtäglich mit Ihnen zusammen gewesen ist!«
»Den Teufel werde ich!« schrie ihn da Perdido zornig an. »Ich heiße weder Riberto noch kenne ich einen Menschen, der sich Antonio Gorra nennt. Wenn Sie nichts anderes wissen, als mir mit solchen Albernheiten zu kommen, so schweigen Sie lieber, Sie dummer Mensch!«
Er wollte sich abwenden; da aber faßte ihn Gorra beim Arme und antwortete:
»Sie scheinen nicht zu wissen, wie man mit anständigen Leuten verkehrt, Sennor! Selbst wenn ich Unrecht hätte, so befände ich mich infolge einer wirklich großen und ganz seltenen Aehnlichkeit in einem sehr verzeihlichen Irrtume, den Sie mir höflich zu widerlegen hätten. Auf eine Beleidigung, wie Sie ausgesprochen haben, antworte ich
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