Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen
gebrannt zu Boden. Nur einige erreichten die Stelle, an welcher sich die Brücke befunden hatte; das Feuer trieb sie hinab in die Tiefe des Cannons.
Das Wiehern und Bellen, das Heulen, Brüllen und Rufen wurde schwächer und schwächer und verstummte endlich ganz. Nur eine einzige Stimme war zu hören, diejenige der Flammen, ein tiefes, dumpfes Brausen wie von einem fernen, brandenden Meere.
Die Wipfel der Bäume waren verzehrt; nun ergriff das Feuer die Stämme und nagte sich tiefer und tiefer an ihnen nieder. Hellglühende Rauchschwaden wirbelten empor, um eine mächtige schwarze, schwer über der Brandstelle lagernde Wolke zu bilden, durch welche vereinzelte Funkenraketen zuckten. Diese Wolke schien die Flammen niederzudrücken, sie senkte sich mehr und mehr. Die Stämme brannten nicht mehr, sie glühten und kohlten nur noch.
Auch diese Glut erlosch, nur hier und da sprühte es noch auf, dann wurde es Nacht, eine schreckliche Nacht des Todes, in dicken, erstickenden Rauch gehüllt.
Als am Morgen die Sonne die Stätte des Verderbens beschien, saß Schwarzauge noch immer an derselben Stelle. Sie hatte keine Thräne, keinen Seufzer, kein Schluchzen, kein Wort für ihren Schmerz.
Der heisere Schrei eines Aasgeiers weckte sie aus ihrer seelischen Erstarrung. Sie stand auf und wankte fort, durch die Quellenschlucht hinab, hinab, immer weiter, bis sie nach Stunden die Tiefe des Cannons erreichte, in welcher der Mormone mit seinen Opfern lag – Dort saß sie den ganzen Tag und die darauffolgende Nacht bei den entstellten Ueberresten des Geliebten.
Am nächsten Tag erschien sie, der Schatten ihrer selbst, auf der Estanzia del Trigo. Monoton und scheinbar ohne innere Bewegung erzählte sie, was geschehen war.
Man bot ihr Essen und Trinken an; sie schüttelte den Kopf. Sie wollte weder Speise noch Trank, sie wies auch jeden Trost von sich. Sie ging und niemand hat sie seitdem gesehen.
Von diesem Tage an wird jene Felsenspalte Cannon de los Cotchisos, die Schlucht der Kotschisoapachen, und die sich über ihr erhebende Felsenmauer die Penna del Asesinato, der Mordfelsen, genannt.
Christ ist erstanden!
Reiseerzählung von Dr. Karl May
1.
La Pasionaria
(Die Passionsblume)
Wir schwammen, fünf Personen in einem kleinen sechssitzigen Boote, auf dem Rio Madeira, dem größten Nebenflusse des Amazonenstromes. Vorn am schmalen Buge saß Sennor Perdido; dann kamen die drei Ruderer Agustin, Manuel und Mateo, und ich lenkte hinten das Steuer. Man darf sich durch die Namen nicht verleiten lassen, die drei Leute, welche die Ruder führten, für Weiße zu halten. Sie waren echte Toba-Indianer, welche vor einigen Monaten bei der heiligen Taufe diese christlichen Namen erhalten hatten. Obgleich Agustin und Manuel älter waren als ich, waren die Drei doch meine geistlichen Kinder, denn ich hatte sie in den Lehren des Christentums unterrichtet und dann Pate bei ihnen gestanden.
Die beiden Genannten waren ernste, wortkarge, doch höchst zuverlässige Personen, während der vielleicht zwanzigjährige Mateo ein heiteres, mitteilsames Naturell besaß und ganz besonders gern von seiner Treue und Zuneigung zu mir sprach. Nur ihre große Anhänglichkeit hatte sie vermocht, mit mir so weit von ihrer Heimat bis fast hinab zum Marañon zu gehen und während der langen Bootsfahrt nicht geringe Fährlichkeiten zu bestehen. In Cratto hatten wir Halt gemacht und uns ausgeruht, um da wieder umzukehren. Hier war Sennor Perdido zu mir gekommen und hatte mich gebeten, ihn mitzunehmen, da er hinauf nach den Anden wolle.
Ich muß gestehen, daß er keinen freundlichen Eindruck auf mich gemacht hatte. Der Name Perdido heißt auf deutsch »der Verlorene«, und dazu stimmte sein Wesen und sein Verhalten. Er war ein kräftiger, junger Mann und machte sich als Ruderer nützlich; er wußte sehr gut mit dem Gewehre umzugehen, kannte die Tücken des tropischen Urwaldes genau und ging, so oft wir an das Ufer legten, auf die Jagd, um reiche Beute mitzubringen; er war des Tupi vollständig mächtig, jenes Zweiges der weitverbreiteten Guaranisprache, welcher unter der Bezeichnung
Lingoa general de Brasil
den meisten Stämmen des Innern als Mittel zur Verständigung dient. Und trotz dieser guten und für mich nützlichen Eigenschaften gefiel er mir doch nicht. Er war finster und unfreundlich, in sich verloren, vielleicht mit sich selbst zerfallen, und besaß, was mich am meisten abstieß, weniger Glauben als ein Heide; das hatte ich trotz seiner Schweigsamkeit
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